Die beim BGH und beim Europäischen Gerichtshof anstehenden Urteile könnten sogar eine zweite Klagswelle gegen VW-Dieselautos der neueren Generation (EA 288) auslösen, die seit 2015 verkauft wurden. Nicht ausgeschlossen ist, dass alle bisherigen Software-Updates von VW als illegal eingestuft werden. Damit droht auch Deutschland als Staat Ungemach, denn seine Behörde hatte diese Updates ja genehmigt hat.
Doch der Reihe nach. Was ist beim BGH noch in der Pipeline?
Am 21. und 28. Juli wird der BGH nach Informationen der Rechtsanwaltskanzlei Sauer über folgende vier heikle Fragen entscheiden.
Frage 1: Wann genau verjähren die Ansprüche der Betrugs-Autos mit EA 189 Motoren? Also der 1,2; 1,6 und 2 Liter Diesler der Marken VW, Seat, Skoda und Audi, die zwischen 2009 und 2015 verkauft wurden? Bis jetzt ging man in Deutschland davon aus, dass die meisten Fristen Ende 2019 verjährt sind – also am Ende des dritten Jahres nach Beginn der Software-Updates. Jetzt nach der Einstufung als vorsätzliche sittenwidrige Täuschung – also Betrug im Strafrecht – könnte das anders sein.
Frage 2: Wie sind Schummel-Autos mit EA 189 Motor zu behandeln, die erst n a c h Platzen des Dieselskandals am 18. September 2015 gekauft wurden, etwa im Oktober 2015? Damals wäre der Diesel-Skandal ja schon bekannt gewesen und die Käufer hätten sich bewusst für einen Betrugsdiesel entschieden, vermeinten einige Richter. Muss nicht sein, lautet der Konter. Immerhin hatte VW bis zuletzt vehement bestritten, in Europa überhaupt geschummelt zu haben.
Frage 3: Wurde durch das Software-Update, das auf 90% aller 2,4 Millionen Betrugsdiesel in Deutschland aufgespielt worden ist, der Schaden behoben? Aus dem BGH-Urteil vom 24.5.2020 lässt sich indirekt ableiten, dass dies nicht der Fall sein kann. Immerhin wurde beim Software-Update wieder eine Abschalteinrichtung eingebaut, die dafür sorgte, dass die Abgasrückführung in kalten oder sehr heißen Monaten komplett oder teilweise weggeschaltet wurde und nur während der sog. „Thermofenster“ voll funktionierte (zwischen 15 und 30 Grad plus).
Frage 4: Der BGH befand jetzt im Mai, dass VW das Auto zum ursprünglichen Kaufpreis zurückkaufen muss, wobei für gefahrenen Kilometer ein Nutzungsentgelt abgezogen wird. Eingebaut wurde eine Bremse, damit VW Gerichtsverfahren nicht künstlich in die Länge zieht: Für die Zeit, zwischen Einreichung und Beendigung der Klage muss VW dem Kläger 5% Zinsen auf den Kaufpreis zahlen. Im Juli geht es um die Frage, ob VW nicht schon viel früher Zinsen zahlen muss, schon ab dem Zeitpunkt des Kaufes.
Was passiert beim Europäischen Gerichtshof?
Hier dreht sich alles um die von Frankreich aufgeworfene Frage, ob Abschalteinrichtungen in Europa generell zulässig oder verboten sind, die eine Drosselung der Abgasrückführung auf der Straße bewirken. Das betrifft nicht nur VW, sondern auch andere Hersteller wie Daimler, Volvo, Opel, BMW oder Fiat. Auch diese Autokonzerne haben diverse Abschaltmechanismen in ihre Autos eingebaut, sodass diese auf der Straße ein Vielfaches an gesundheitsschädigendem Abgasen (Stickstoffoxid) ausstoßen als erlaubt. Nach Ansicht der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs sind solche Abschalteinrichtungen unzulässig. Schließt sich das Gericht ihrer Ansicht an – was in 80% der Fälle geschieht – saust die größte Keule wieder auf den VW-Konzern nieder. Dann sind auch die neueren VW Autos mit EA 288 Motoren betroffen, die n a c h September 2015 neu typisiert auf den Markt gekommen sind. Zudem wären auch alle Software-Updates mit eingebautem Thermofenster illegal. Da das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt solche Thermofenster genehmigt hatte, wäre das wohl ein Fall für eine Staatshaftung von Deutschland.
Wann der EU Gerichtshof in Luxemburg sein Urteil sprechen wird, steht vorläufig in den Sternen: auf dem Terminkalender bis zu den Ferien ist noch kein Termin zu finden. Gut möglich, dass das Urteil erst im Herbst kommt