Anbei das Interview mit Wirtschaftsredakteur Günter Fritz in der aktuellen Ausgabe von News im Wortlaut.
News: Frau Ninz, vor mittlerweile sechs Jahren ist der VW–Abgasskandal geplatzt. Wie weit ist die Causa bereits erledigt?
Ninz: Nicht sehr weit; auch wenn der 17. Dezember 2020 für die Betroffenen erfreulicherweise den endgültigen Durchbruch vor dem Europäischen Gerichtshof gebracht hat. Das Urteil der Höchstrichter in Luxemburg fiel ziemlich deutlich aus: Jede Art von Abschalteinrichtung, die bei Fahrten auf der Straße die Abgasreinigung der Autos reduziert, ist selbstverständlich auch in Europa verboten. Gleichzeitig fegte der EuGH die Ausreden der Autokonzerne vom Tisch, dass solche Abschalteinrichtungen zum Schutz des Motors ausnahmsweise erlaubt seien.
News: Was heißt das für die Kunden, die ein manipuliertes Auto gekauft haben?
Ninz: Leider ist diese eindeutige Verurteilung der Höchstrichter bei den betrogenen Kunden nicht immer angekommen. So hängen etwa 10.000 österreichische VW-Kunden, für die der Verein für Konsumenteninformation, VKI, bereits 2018 Sammelklagen in Österreich eingebracht hat, noch immer in der Warteschleife. Sie alle haben noch keinen Cent Schadenersatz bekommen, obwohl der Betrug bei den Dieselautos seit einem Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH, Anm.) im Mai 2020 auch vor Gericht eindeutig feststeht.
News: Was ist der Grund dafür?
Ninz: Der ist leicht erklärt. Der VW-Konzern hält weiter an der Strategie fest, nur dann Schadenersatz zu zahlen, wenn es nicht mehr anders geht. Er bekämpft jene Kunden, die es gewagt haben, gegen ihn gerichtlich vorzugehen, mit allen rechtlichen Kniffen. 600.000 amerikanische Kunden haben bereits vor Jahren bei einem Vergleich knapp 28 Milliarden Dollar erhalten. 2020 schließlich 245.000 deutsche Käufer 750 Millionen Euro. Das aber erst, nachdem sich klar abzeichnete, dass der Bundesgerichtshof den Konzern wegen vorsätzlicher und arglistiger Täuschung zu Schadenersatz verurteilen wird. Von diesem Vergleich grenzte VW sofort aber alle ausländischen Kunden aus, so auch 1.100 Österreicher und Südtiroler, die sich die sich über den Verbraucherschutzverein, VSV, ebenfalls ebenfalls an dieser Musterfeststellungsklage beteiligt hatten. Sie dürfen sich getrost als Kunden zweiter Klasse fühlen, obwohl ihnen dieselben Betrugsdiesel angedreht wurden.
News: Hat VW nicht eigentlich das Gegenteil angekündigt?
Ninz: Gleich nach dem BGH-Urteil von Mai 2020 hatte VW versprochen, alle in Deutschland anhängigen Gerichtsverfahren bis spätestens Ende 2020 mit Vergleichen zu beenden. Das ist nicht passiert. Laut Geschäftsbericht sind von 90.000 Gerichtsverfahren noch immer 20.000 offen. Das bekamen auch jene rund 500 Kunden aus Österreich und Südtirol zu spüren, die VW in Deutschland geklagt hatten, nachdem sie beim Musterfeststellungsverfahren abgeschmettert worden waren. Zunächst kam es zwar in rund 40 Fällen zu Vergleichszahlungen mit teilweise erstaunlich hohen Beträgen für Betroffenen. Doch dann legte VW den Schalter wieder um und ging bei vielen Verfahren in Berufung. Der Grund ist banal: der deutsche Bundesgerichtshof hatte zwar VW zu Schadenersatz verurteilt, gleichzeitig aber festgelegt, dass jeder gefahrene Kilometer vom erstrittenen Schadenersatzgeld abgezogen werden muss. Je länger ein Verfahren dauert und je mehr man inzwischen fährt, desto mehr schrumpft der Schadenersatz.
News: Die deutschen Behörden sind beim Dieselskandal ja auch nicht gut weggekommen….
Ninz: Es hat sich gezeigt, dass es der Wolfsburger Konzern von vornherein darauf angelegt hatte, seine Kunden ins Leere laufen zu lassen – und dabei von deutschen Behörden und Politikern unterstützt wurde. Amtliche Dokumente belegen, dass die deutsche Zulassungsbehörde schon im Oktober 2015 diese Abschalteinrichtungen eindeutig für unzulässig erklärt hatte und auch das deutsche Verkehrsministerium davon wusste. Trotzdem schauten beide tatenlos zu, wie die VW-Anwälte vor Gericht das genaue Gegenteil auftischten. Mit sachlich unhaltbaren Märchen gelang es dem Konzern in der Folge, Richter jahrelang zu verwirren und das technische Nicht-Fachwissen von Anwälten, Richtern, Medien und Kunden für sich zu nutzen. Es der große Verdienst von Axel Friedrich und der Deutschen Umwelthilfe, dass dieses Verwirrspiel durchkreuzt wurde, selbst wenn es zwölf Rechtsverfahren brauchte, um die belastenden Dokumente ans Tageslicht zu fördern.
News: Und inwieweit sind andere Autokonzerne involviert?
Ninz: De facto hängen fast alle anderen Autokonzerne mit im Abgasskandal. Mit dem Dezember-Urteil des EuGH war klar, dass Fiat, Daimler-Mercedes und Renault ihre Abschalteinrichtungen nicht mit dem Motorschutz begründen dürfen und dass auch keine sognannte Thermofenster, vulgo Betrugsfenster, erlaubt sind. BMW und VW bekamen von der EU im Kartellverfahren auch noch Bußgelder in Millionenhöhe aufgebrummt. Sie und Daimler-Mercedes hatten sich verbotenerweise abgesprochen, zu kleine Tanks in ihre Dieselautos einzubauen, die bei der Abgasreinigung eine wichtige Rolle spielen. Dass diese Tanks zu klein gerieten, ist zwar kein Beweis für Betrug, aber ein Indiz dafür. Ein Skandal im Skandal ist, dass die Kartellstrafe von fast einer Milliarde nicht etwa der Umwelt oder gar den Betrogenen zu Gute kamen, sondern dass diese Strafgelder die EU-Mitgliedsstaaten kassieren, also auch Österreich.
News: Welche Lehren sollten aus der Causa gezogen werden?
Ninz: Wenn Europa sich selbst ernstnimmt, müssen die Urteilsprüche der obersten Richter auch in den einzelnen EU-Staaten so zügig wie möglich umgesetzt werden, sonst werden die Täter belohnt und Opfer ein zweites Mal bestraft. Zudem ist es höchst an der Zeit, unabhängige Verbraucherschützer mit effizienten Instrumenten wie mit etwa einer Verbandsklaglegitimation auszustatten, damit sie rasch und staatsübergreifend agieren können. Als Käufer von Betrugsdiesel sollte man alle Möglichkeiten nützen, sich zu wehren.