Halten wir uns vor Augen: Über 400.000 betrogene Kunden haben VW in einem Musterfeststellungs-verfahren geklagt. Eine Schande, dass bis heute – über ein halbes Jahr nach Start der Verhandlungen – noch nicht einmal die genaue Zahl der Kläger feststeht! Unter Druck von Richter Michael Neef ist der Konzern in Vergleichsverhandlungen eingetreten, nun in letzter Sekunde abgesprungen und will seine Kläger mit individuellen Lockangeboten kapern. Der Betrugskonzern kann Taschenspielertricks nicht lassen, kommentierte etwas verniedlichend „die Welt“. Die klagenden Verbraucherschützer des vzbv und den mächtigen ADAC hat VW damit am Nasenring vorgeführt. VW unterläuft nicht nur die Musterfeststellungsklage, die schließlich gegen ihn und seine jahrzehntelangen Betrügereien erfunden wurde, sondern blamiert die deutsche Justiz als Ganzes.
Was Volkswagen nun will, liegt klar auf der Hand. Der Konzern will die Kommunikation zu seinen Kunden komplett in seine Hand nehmen und – wetten? – die Gelegenheit nutzen, ihnen ein neues Auto einzureden. Warum VW Hunderte Kläger aus Österreich eiskalt ausgrenzt, obwohl Volkswagen seit Jahrzehnten Platzhirsch beim Neuwagengeschäft in Österreich ist, ist völlig unverständlich. Nach VW-Vorstellungen soll dieser Vergleich völlig intransparent und ohne Kontrolle durch Dritte abgewickelt werden.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Konzern, der jahrzehntelang betrogen hat und Kunden, Behörden und die Politik angelogen hat, schwingt sich jetzt dazu auf, einseitig die betrogenen Kunden zu befrieden. Ein Konzern, der mit einem Heer von Rechtsanwälten versucht, alles zuzudecken und zu bestreiten – sogar angesichts drückender Schuldbeweise wie etwa bei Audi und Stadler! Ein großer Konzern will sich in all seiner Machtfülle vor dem einzelnen Kunden hinstellen – dem kleinen Mann, der kleinen Frau – der gar keine Chance hat, den angebotenen Vergleich auch nur annähernd zu beurteilen.
Wie gut, dass nun ein zweites Angebot gekommen ist, auch wenn es zunächst auf 50.000 Fälle limitiert ist. Mit bis zu 2.000 Euro sofort auf der Hand und der Aussicht, im weiteren Verfahren noch mehr zu gewinnen, könnte es einigen Klägern nun viel leichter fallen, das VW-Lockangebot abzulehnen. Je älter und günstiger die Autos, je mehr gefahrene Kilometer, desto besser ist wohl das Gegenangebot des Prozess-Finanzierers, der – wie gesagt – nicht der einzige bleiben wird. Gut, wenn sich gleich mehrere Anbieter um die VW Geschädigten reißen.
Noch besser, wenn auch die deutsche Justiz nicht länger austricksen lässt. Deutsche Richter haben bereits vor einem Jahr gezeigt, dass sie sich die unsägliche Verzögerungstaktik der Wolfsburger nicht länger gefallen lassen. Mit einen ungewöhnlichen Hinweisbeschluss hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dafür gesorgt, dass immer mehr deutsche Gerichte zugunsten der betrogenen Käufer gekippt sind. Mit individuellen Vergleichen hat VW anschließend versucht, Urteile von Höchstgerichten zu vermeiden, die für alle nachgeordneten Gerichte gelten. Gut 50.000 solche Vergleiche dürften allein in Deutschland geschlossen und die befriedeten Opfer zu eisernem Stillschweigen verpflichtet worden sein.
VW wird nun versuchen, bis 5. Mai möglichst viel Musterfeststellungs-Kläger aus der Klage loszueisen. An diesem Tag wird der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsburg darüber urteilen, ob die Diesel-Autos mit der Betrugssoftware überhaupt zugelassen hätten werden dürfen. Auch über die Frage, ob und in welchem Ausmaß die VW Geschädigten ein Nutzungsentgelt für die inzwischen gefahrenen Kilometer an VW zahlen müssen oder nicht, sollten die Höchstrichter entscheiden.
Und bereits am 19 März wird der Europäische Gerichtshof darüber urteilen, ob die Abgasnormen tatsächlich nur im Labor (wie von VW behauptet) einzuhalten sind, oder auch im echten Leben auf der Straße, was ja der Sinn solcher Vorschriften sein muss. Der Europäische Gerichtshof wird auch darüber urteilen, ob die Thermofenster rechtlich zulässig sind, außerhalb derer die Abgasreinigungsanlagen der Autos abgeschaltet wurden. Beide Fragen betreffen nicht nur VW, sondern auch viele andere Autokonzerne, die ähnliche Thermofenster eingebaut haben.
Gut möglich, dass über den Gerichtsweg für VW Opfer mehr zu holen ist als mit einem individuellen Vergleich mit einem Konzern, der jahrzehntelang betrogen hat.