„Das muss eine große Verhandlung sein“, hatte sich beim Eingang die Security-Frau gewundert, die Taschen und Personen checkt, bevor man eintreten darf. Die VKI-Juristen Mag. Thomas Hirmke und Mag. Ulrike Wolf sind bereits eingetroffen, begleitet von ihren Rechtsanwälten Dr. Alexander Klauser, Dr. Arno Brauneis, Dr. Katharina Huber und Mag. Michael Poduschka. Während sie mit den wartenden VW-Geschädigten reden, fährt die Richterin Mag. Barbara Maschler mit einem Berg von Akten einer Art Einkaufswagerl vor und verschwindet hinter der Tür des Verhandlungssaals. Als sie diese wenig später pünktlich öffnet, hat sich die Richterin bereits in ihre Robe geworfen. Auch die VW-Anwälte von der Kanzlei Freshfields, Dr. Thomas Kustor und Dr. Sabine Prossinger halten Einzug.
Im bis auf den letzten Platz vollen Saal – einige müssen stehen – beginnt die Verhandlung. Komischerweise sind Mikrofone zwar sichtbar, aber nicht eingeschaltet. Hören wird zu einer Herausforderung, nicht nur in den hintersten Reihen.
Warum in 5 Fällen ein Schaden über 15.000 Euro geltend gemacht wird, also 30% und nicht 20% wie bei allen anderen, will der VW Anwalt Kustor von VKI-Anwalt Klauser zunächst wissen. Aus Kostengründen, erklärt Klauser. Immerhin betrage der Streitwert der 16 Sammelklagen, die der VKI bei allen Landesgerichten Österreichs eingebracht hat, bereits jetzt rund EUR 60 Millionen. Rasch kommt das zentrale Thema zur Sprache, ob österreichische Gerichte für die Schadenersatzklagen von österreichischen Autokäufern gegen den in Deutschland (Wolfsburg) ansässigen VW-Konzern zuständig seien.
Kustor regt an, die Verhandlung zu unterbrechen, bis das Oberlandesgericht Wien, bei dem diese Frage bereits anhängig sei, darüber entschieden habe. In einzelnen Parallelverfahren (konkret: in den Verfahren vor den Landesgerichten Korneuburg und Wiener Neustadt) hätten sich die Gerichte nämlich bereits für nicht für zuständig erklärt. Der VKI hat gegen diese Entscheidungen Rekurs erhoben. Für Klauser ist die aus seiner Sicht überraschende Verneinung der Zuständigkeit durch die Landesgerichte Korneuburg und Wiener Neustadt keineswegs nachvollziehbar: In über 150 Einzelverfahren haben sich österreichische Richter in erster Instanz für gleichgelagerte Klagen bisher stets für zuständig erklärt, auch in rund zwei Dutzend Rekursentscheidungen die Gerichte zweiter Instanz, darunter alle vier Oberlandesgerichte Österreichs (Wien, Graz, Linz und Innsbruck). Inzwischen hätten Erstrichter nach dem von Prof. Oberhammer erstatteten Gutachten (im Auftrag von VW) jedoch auf Unzuständigkeit umgestellt, erwidert Kustor.
Da der VKI seine Klagen jeweils an jenen Gerichten eingebracht hat, in deren Sprengel die manipulierten Fahrzeuge gekauft und übergeben wurden, bestreitet der VW-Anwalt nun, dass die VW-AG Wolfsburg überhaupt ein Vertragspartner für die Kläger sei. Klauser darauf im O-Ton: „Die beklagte Partei war zwar nicht selbst Vertragspartner; sie war jedoch insofern in jeden Kaufvertrag involviert, als sie die Autokäufer in jedem einzelnen Fall absichtlich, arglistig und strafrechtswidrig über die Eigenschaften der Fahrzeuge in die Irre geführt und daher jeden einzelnen Käufer getäuscht hat.“
Nun bezweifelt Kustor bezweifelt auch die örtliche Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien für alle 1.491 eingereichten Fälle, wenn etwa ein Käufer in Linz wohne und das Auto in Wien bloß gekauft habe. Auch in Leasingfällen kämen andere Übergabeorte als Wien in Frage, für sie sei das Handelsgericht Wien nicht zuständig, findet Kustor. Der VKI-Anwalt ist sich diesbezügich völlig sicher: Auch bei Leasingveträgen sei nur die Übergabe des Autos an den Käufer relevant. Und diese sei in allen 1.491 Fällen in Wien passiert.
Die Richterin wirkt gut vorbereitet, hört beiden Seiten zu und sagt relativ klar, was sie plant. Sie wird in einem schriftlichen Beschluss entscheiden, ob das Handelsgericht Wien für die VKI-Klage zuständig ist oder nicht. Vorerst muss sie allerdings entscheiden, ob es dafür, wie von VW beantragt, einen Senat mit drei Richtern braucht oder sie allein verhandeln soll. Erst danach will sie die Frage der internationalen und örtlichen Zuständigkeit prüfen und in diesem Zusammenhang auch entscheiden, ob diese Frage möglicher Weise vom Europäischen Gerichtshof geklärt werden soll. Als dritte formale Voraussetzung wird schließlich zu klären sein, ob die vom VKI gewählte Form der Sammelklage, in der Ansprüche gebündelt sind, zulässig ist. Laut Judikatur müssen die Ansprüche ein gewisses Maß an Gleichartigkeit aufweisen, um zu einer Sammelklage zusammengefasst zu werden. Über all diese Fragen wird die Richterin mit schriftlichem Beschluss nach der Verhandlung entscheiden.
Als nächstes möchte Frau Rat nach Möglichkeit außer Streit stellen, dass in allen fraglichen Autos die gleiche Art von Motor eingebaut ist, der „189“ (genau: EA 189). Für Klauser ist das völlig klar. Kustor dagegen spricht von abgeschnittenen Kaufverträgen in den Unterlagen. Unmissverständlich stellt er klar, dass er diese Frage nicht außer Streit stelle.
Das bringt Anwalt Klauser voll in Fahrt. Er deckt die Richterin mit Unterlagen ein: eine Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe, dass das Software-Update im Winter nicht funktioniere, eine rezente Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs, wonach die Abgasmanipulation einen Sachmangel darstelle und alle bisherigen Rekursentscheidungen in Papierkopie – dies deshalb, weil die Richterin diese Dokumente nicht ohne weiteres aus der justizinternen Datenbank abrufen darf (das bestätigt Frau Rat). Zudem legt er ein druckfrisches Urteil des Oberlandesgerichts Wien in einem ähnlich gelagerten Fall des VKI vor, das die internationale Zuständigkeit für Wien bestätigt habe. Falls alle Stricke reißen, stellt Klauser auch noch einen „Eventualüberweisungsantrag“. Falls sich wider Erwarten herausstellen sollte, dass eine Sammelklage nicht zulässig sei, sollen alle 1.491 Fälle auf andere Gerichte in Wien aufgeteilt werden, u.a. auch auf die Bezirksgerichte.
Applaus vom Publikum für den rührigen Anwalt. Die Geschädigten fühlen sich offensichtlich gut vertreten. Ein gut gekleideter älterer Herr, steht auf und sagt: „Mit ihrer Vorgangsweise haben die VW-Anwälte uns heute gezeigt, dass sie uns für Trottel halten.“