Nicht nur der Eurofighter-Skandal, sondern auch die Causen Meinl und Ibiza finden sich im Kreutner-Bericht unter den „clamorosen Fällen“, in denen eine „Zwei-Klassen-Justiz“ herrschte. So wollte der Supersektionschef beim berühmt-berüchtigten Ibiza Video zunächst verhindern, dass die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) eingeschaltet wird, obwohl es eindeutig ein Fall für diese Sonderkommission war. Unpackbare Vorgänge schildert die Kreutner-Kommission auch bei der Causa Meinl, wo Verhaftungen auf mysteriöser Weise verhindert wurden. Eine zweite versuchte Verhaftung wurde nach mehreren Dienstbesprechungen mit Oberstaatsanwaltschaft Wien und dem Justizministerium „daschlogn“, d.h. die rechtliche Begründung des fallführenden Staatsanwaltes wurde zurückgewiesen („Nordkorea“-Besprechung).
181 Berichte allein bei Ibiza
Für die Kreutner-Kommission liegt auf der Hand, dass der damalige Supersektionschef des Justizministeriums in der Causa Ibiza anfangs nicht wollte, dass der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine aktive Rolle zukommt (Seite 64). Laut Kreutner-Kommission liegt die Vermutung nahe, dass dies aus der Motivation herausgeschehen ist, das die WKStA wenig oder gar nicht steuerbar sei (FN 144 auf Seite 64). Denn wenige Tage zuvor hatte die WKStA gegen Pilnacek Anzeige eingebracht. Auffallend: gleich nachdem am 17.Mai 2019 das Ibiza Video viral gegangen war, meinte der damalige Supersektionschef Pilnacek zum „Kurier“, er sehe keinen Anfangsverdacht, aber die Oberstaatsanwaltschaft Wien werde den Fall prüfen. Die Kreutner-Kommission hatte aufgrund dieser so frühen Festlegung durch oberste Funktionsträger der Justiz den Eindruck, man wolle über der Medien inhaltliche Direktiven für die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vorgeben (Seite 130). Mit welcher Akribie die späteren Ermittlungen in Sachen Ibiza im Justizministerium verfolgt wurden, zeigt die stolze Anzahl der angeforderten Berichte: Allein bis 4. Februar 2021 waren es insgesamt 181 Berichte an den Supersektionschef. (Seite 85)
So durchkreuzte Justiz Verhaftung von Meinl-Beschuldigten
Seit 2008 wurde gegen Meinl-Manager wegen Verdachts auf schweren Betrugs bei MEL (später Atrium) ermittelt, später auch noch wegen Verdachts auf Untreue. Nach 15 Jahren wurden die Ermittlungen im Mai 2024 eingestellt, weil kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte. Die ermittende Staatsanwaltschaft Wien nahm im November 2012 und in Oktober 2014 jeweils Beschuldigte fest, weitere Verhaftungen wurden vereitelt: Ende 2012 kam es auch zu einer Hausdurchsuchung, wobei sich der Beschuldigte weigerte, sein Tablet an die Sonderkommission Meinl abzugeben. Der fallführende Staatsanwaltschaft hat sich vom Landesgericht Wien wegen Verdunkelungsgefahr (in der Dividendenaffäre) seine Verhaftung genehmigen lassen. Da aber die Leitung der Staatsanwaltschaft und die Oberstaatsanwaltschaft Wien dagegen waren, fand die Verhaftung nicht statt (Seite 87). Das Bundesministerium für Justiz war „offenbar“ nicht darüber informiert worden, aber über einen Journalisten gelangte dieses Verhaftungs-Vorhaben an den Kabinettschef und an den Supersektionschef. Laut Kreutner-Kommission wird vermutet, dass eine Intervention von dritter Seite die Verhaftung verhinderte (Seite 87). Da an dieser Stelle der Kommissionsbericht geschwärzt ist (Seite 87), erfährt man nicht, wer diese dritte Seite gewesen sein soll.
Meinl-Verhaftung – zweiter Versuch, angepasstes Protokoll
2014 fasst die Staatsanwaltschaft Wien neuerlich eine Verhaftung eines Meinl-Beschuldigten ins Auge. Da kam es zu einer Kontroverse zwischen Staatsanwaltschaft Wien einerseits und der Oberstaatsanwaltschaft Wien und des Bundesministerium für Justiz andererseits: bei einer Dienstbesprechung am 16. Oktober 2014 nahmen die Oberstaatsanwaltschaft Wien und das Bundesministerium für Justiz das Vorhaben der Verhaftung „nicht zur Kenntnis“, d.h. sie lehnten sie ab. Als dies ordnunggemäß im Protokoll vermerkt wurde, bestritt das Bundesministerium für Justiz die Richtigkeit des Protokolls und die Staatsanwaltschaft Wien wurde aufgefordert, ein neues Protokoll zu verfassen. Darin bestätigte die Staatsanwaltschaft Wien (abgesegnet von ihrer Leitung) allerdings die Richtigkeit des Protokolls und dass es in dieser Dienstbesprechung keine einvernehmliche Rechtsauffassung gegeben hätte. Laut Ansicht der Kreutner- Kommission hätte das Bundesministerium für Justiz der Oberstaatsanwaltschaft Wien eine entsprechende Weisung geben müssen (Seite 87).
Das ist aber nicht passiert und so blieben beide Seiten bei ihrer jeweiligen Meinung. Am 17. Dezember 2014 kam es zu einer neuerlichen Dienstbesprechung, bei der diesmal vonseiten des Justizministeriums nicht nur die Fachaufsicht (=Supersektionschef Pilnacek) teilnahm, sondern auch extra noch die Dienstaufsicht! Das Herbeiziehen der Dienstaufsicht, die bei Karrieren ein Wort mitzureden hat, wurde von den Beteiligten eindeutig als „Drohkulisse“ gegen die Staatsanwaltschaft Wien als erste Instanz interpretiert (Seite 88).
Was kam dabei heraus? Die Meinung des Jusitzressorts setzte sich durch und man schrieb ins Protokoll, dass die Behördenleiterin das Vorhaben (Festnahme) nicht aufrechterhalten konnte. Somit war keine Weisung mehr notwendig. Dieses bedrohliche Setting der Dienstbesprechung ging in Justizkreisen als „Nordkorea“-Besprechung“ ein. (Seite 88) Die Dienstaufsicht wurde bei dieser Besprechung so agressiv (Seite 92), “dass die Leitung der fallführenden Staatsanwaltschaft von ihren Sachbearbeitern abwich, was angesichts der harschen, agressiven Tonalität der Fach- und Dienstaufsicht nicht wundert“, schreibt die Kreutner-Kommission auf Seite 93.
Auch bei diesem komplexen Fall hat man, wie schon beim Eurofighter-Verfahren, den fallführenden Staatsanwalt lange Zeit allein gelassen (Seite 112) Diesem Staatsanwalt stand obendrein noch „eine Vielzahl von Anwälten gegenüber, die viele Anträge einbrachten“, fügt die Kreutner-Kommission hinzu.