Dem Kreutner-Bericht ist nicht nur zu entnehmen, dass der ehemalige Supersektionschef Pilnacek ausgewählte Beschuldigte informell „briefte“, sondern dass er ihnen dabei riet, Aufsichtsbeschwerden zu ergreifen (Seite 186). Die Vorgänge rund um den ehemaligen Finanzminister Blümel sind so ein Beispiel, als sich der Sektionschef erkundigte „Wer vorbereitet Gernot?“. Bei einem anderen „clamorosen“ Fall, dem Stadterweiterungsfonds, wurden Anklagen absichtlich verzögert: das Vorhaben auf Anklage blieb 22 Monate zwischen Kabinett und Oberstaatsanwaltschaft liegen. Brisant klingen die Hinweise der Kreutner-Kommission in Zusammenhang mit dem Telekomverfahren (Seiten 163 bis 167): Da soll „ein Verfahren gegen einen hochrangigen Justizpräsentanten“ „möglichst geräuschlos“ eingestellt worden sein, trotz „polizeilicher Ermittlungen“ und trotz „nicht unbedeutender Verdachtsmomente“. Wegen der vielen Schwärzungen kann man diese Hinweise näher hinterfragen.
Pilnacek: Wer vorbereite Gernot?
Am 11.2.2021 kam es zur Hausdurchsuchung beim Finanzminister Blümel. Am 24.2.2021 schickte Blümels Kabinettschef jene Sicherheitsordnung sofort an Pilnacek (damals nur mehr einfacher Sektionschef im Justizministerium) weiter, welche die Ermittler am selben Tag dem Finanzminister übergeben hatten (Seite 185). In solchen Sicherheitsordnungen wird näher begründet, warum man die Hausdurchsuchung macht. Die Antwort Pilnaceks folgt noch am selben Tag : „Das ist ein Putch! Lauter Mutmaßungen, es muss Beschwerde gegen Hausdurchsuchung eingelegt werden“ (Seite 185).
Halten wir fest: ein Spitzenbeamter der Justiz (damals nicht mehr für Einzelstraffälle zuständig) berät Beschuldigte und fordert sich dazu auf, sich gegen untere Instanzen der Justiz zu beschwerden.
Nicht genug damit, stellt Pilnacek die inzwischen bekannte Frage in eigenwilligem Deutsch: „Wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung?“ (Seite 185 und Seite 186), die zwei Tage später am 26.2.2021 stattfand.
Weitere Erhebungsergebnisse der Kommission legen ferner nahe, dass Pilnacek ausgewählte Beschuldigte informell „gebrieft“ hat, in laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen Aufsichtsbeschwerden zu ergreifen (Seite 186). Die Causa Blümel war demnach kein Einzelfall.
Stadtererweiterungsfonds
Bei der Causa „Stadterweiterungsfonds“ wurde ab 2013 gegen Spitzenbeamte des Innenministeriums wegen Untreue ermittelt, die als Kuratoriumsmitglieder des Stadterweiterungsfonds tätig gewesen waren. Eine Milliarde Euro, die durch den Verkauf von Immobilien zustande gekomen waren, wurden an mehrere Institutionen verteilt.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) schlug der Obersten Staatsanwaltschaft Wien (der sie zugeordnet ist) schließlich vor, Teile des Sachverhaltes einzustellen und Teile (mit mehreren Beschuldigten) anzuklagen. Der zuständige Referent der Oberstaatsanwaltschaft Wien will das auch genehmigen, wechselt aber zu anderer Behörde. In der Folge zieht der Erster Oberstaatsanwalt Wien den Fall an sich und kommt zu völlig anderen Ansicht: er will die Einstellung des Verfahrens in allen Punkten.
Doch der zuständige Referent im Bundesministerium für Justiz bestätigt weitgehend die Vorgansweise der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (teilw einstellen, teilw anklagen), was in einer Dienstbesprechung im August 2016 ausführlich dargelegt wird. Tage später wird eine Einigung erzielt. Doch dieser Akt wird nicht elektronisch eingereicht, sondern nur in Papierform. Ein zusätzlicher „Erledigungsstau“ entsteht durch das Liegenlassen im Kabinett des Bundesministers (Seite 82) Von Juli 2015 bis Mai 2017 lag der Akt 22 Monate bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien und im Bundesministerium für Justiz. Es ist ein „Spiel auf Zeit“ (Seite 118).
Sektionschef Pilnacek kündigt neuerliche Beschuldigteneinvernahmen an, befasst damit den Weisungsrat damit und der Bundesminister fur Justiz erteilt der Oberstaatsanwaltschaft Wien die Weisung, diese ergänzenden Beschuldigteneinvernahmen durchführen zu lassen. So kam der Akt an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zurück. Hier wurde die lange Dauer bewusst herbeigeführt, eine „Ehrenrunde“ eingebaut, um die Anklage zu verzögern, urteilt die Kreutner-Kommission auf Seite 112.
Anfang 2019 legte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) der Oberstaatsanwaltschaft Wien das Vorhaben vor, Anklage zu erheben, deren Einbringung die Oberstaatsanwaltschaft Wien Ende Mai 2019. So sind insgesamt vier Jahre bis zum ersten Anklagevorhaben verstrichen (Seite 82)! Im Juli 2020 sprach das Landesgericht für Strafsachen (als Schöffengericht) alle Beschuldigten frei (Seite 177).
Weiter „clamorose“ Fälle, die von der Kreutner-Kommission aufgegriffen wurden sind der Tierschützerprozess (Seite 157), Teile des Telekomverfahrens und Vorfälle rund um Ex-Justizminister Brandstetter, der Pilnacek im Interesse eines Beschuldigten kontaktiert hatte.