Rückblende auf November 2015. Kurz nach Platzen des VW Abgasskandals im September, setzte der damalige VW-Chef Müller einen ungewöhnlichen Schritt und machte Selbstanzeige gegenüber der deutschen Zulassungsbehörde Kraftfahrtbundesamt (KBA) wegen nicht nachvollziehbarer CO2 Verbrauchswerte bei 800.000 Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Skoda und Seat. Die im Typenschein angegebenen CO2 Werte und damit auch der Spritverbrauch waren offenbar zu niedrig und konnten vom Hersteller selbst nicht mehr nachvollzogen werden. Parallel zum Abgasskandal, bei dem es um schädliches Stickoxide (NOX) geht, schien sich ein zweiter VW Skandal aufzutun, diesmal mit dem sensiblen Treibhausgas CO2!
Einige Wochen später, noch im November, gab es plötzlich offizielle Entwarnung von allen Seiten: alles Paletti mit den CO2 Werten, alles innerhalb der üblichen Toleranzen, hieß es. Die DUH traute dem Frieden nicht – auch aufgrund von Informationen eines Whistleblowers – und verlangte die Herausgabe jener Unterlagen, die zu dieser Entwarnung geführt hatten. Nach fünfeinhalb Jahren bitteren juristischen Kämpfen erhielt die DUH diese Unterlagen, aus denen Erstaunliches hervorgeht.
Demnach hatte sich VW unter Ex-Konzernchef Müller den Behörden gegenüber durchaus einsichtig gezeigt und am 3. November 2015 angekündigt, die falschen (zu niedrigen) CO 2 Werte innerhalb von zwei Wochen auch in den Typenschein zu korrigieren und an die betroffenen Käufer wegen des höheren Spritverbrauchs Zahlungen zu leisten. Sogar „Wandlungsrechte für Kunden anzuerkennen“ war eine Option. Man wollte „die erlaubten Flexibilitäten nicht mehr einseitig ausnutzen“ und sich künftig an die strengeren Vorschriften des geplanten (aber noch nicht in Kraft befindlichen) neuen Prüfzyklusprozess (WLTP) halten, kündigte Müller an. Auf gut Deutsch: VW wollte auf einige Tricks verzichten, die man zwar als zulässig erachtete, aber einseitig ausgenutzt hatte. Laut Angaben von Jürgen Resch hätte diese Verbesserungsaktion VW insgesamt 2 Milliarden Euro gekostet.
Gleichzeitig verwies VW aber auch darauf hin, dass davon 7.700 Arbeitsplätze direkt und weitere 2.300 Arbeitsplätze indirekt betroffen gewesen wären und forderte vom Staat flugs „Unterstützung bei der Sicherstellung der Refinanzierungsfähigeit von VW“. Dieser Wink mit dem Zaunpfahl hat offenbar gewirkt, denn am 19.11.2015 kam es zu einer erstaunlichen Wende: VW erklärte nach einer gemeinsamen Sitzung, dass man an der bisherigen Praxis festhalten wolle. Wörtlich heißt es, dass VW „wie bisher alle Toleranzen ausnützen“ werde und – hört, hört – das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur dies „zustimmend zu Kenntnis nehme“. „Der Bundesverkehrsminister hat damit vereitelt, dass 800.000 Käufer ein paar Tausende Euro bekommen“, kritisiert Dr. Resch als ersten Punkt. Dass die realen CO2 Werte von den Typenscheinwerten dermaßen stark abweichen – durchschnittlich 42% laut ICCT – ist auch aus Klimaschutzgründen „einfach nicht zu tolerieren“.
Mit seiner Zustimmung schoss sich der deutsche Staat ein Eigentor: die jährlich zu bezahlende Motorsteuer ist in Deutschland seit 2007 vom CO2 Ausstoß abhängig (und nicht mehr vom Hubraum). Höhere offizielle CO2 Angaben von VW hätten also auch mehr Geld in den deutschen Staatshaushalt gespült.
Dass die Kluft zwischen realen und Typenscheinwerten zwischen 2001 und 2016 von 9 auf 42% angewachsen ist, hat mit den immer dreisteren Tricks der Autoindustrie bei der Zulassung zu tun, erklärt Dr. Axel Friedrich, der mit unzähligen Messungen und Vorträgen unermüdlich zur Aufdeckung des Abgasskandals (nicht nur bei VW) beigetragen hat. und beiträgt. Man hat alle möglichen Toleranzen voll ausgenützt.
Spannend ist der Blick auf die einzelnen „Flexibilitäten“, auf die VW damals verzichten wollte, sie dann aber weiterhin einseitig ausnutzte.
Das erste ist der Fahrtkurvenwiderstand, der um 5% geschönt wird. Wie geht das in der Praxis? Bevor ein Auto auf den Prüfstand kommt, wird dessen Fahrtkurvenwiderstand in der Realität gemessen und zwar unter höchst merkwürdigen Bedingungen. Die meisten Autohersteller messen ihn auf einem eigenen Testareal in Spanien auf Meereshöhe, wo der Luftwiderstand fast nicht existent ist. Mit allerhand Tricks (zugeklebten Spalten, entfernten Seitenspiegeln, extra dünne, fahruntaugliche Reifen) wird versucht, den Fahrtkurvenwiderstand weiter zu drücken. Der gemessene Fahrtkurvenwiderstand des Fahrzeugs wird anschließend im Testlabor auf dem Prüfstand übertragen.
Weitere Flexibilitäten: für jeden einzelnen der folgenden Parameter gibt es speziell geduldete Abweichungen (=Toleranzen): bei Gewicht, Geschwindigkeit, Temperaturen und bei der Messtoleranz. „All diese Toleranzen wurden voll ausgenutzt und zusammengezählt“, so Dr. Friedrich.
Beim Test im Labor herrschen Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad. Abgase und CO2 Verbrauch werden nicht in einem Durchgang getestet, sondern in zwei verschiedenen Zyklusdurchgängen, erklärt Dr. Friedrich, oft sogar bei unterschiedlichen Prüfstellen und Orten. So erfolgen CO2 Tests bei 27 Grad Celsius, die Abgastests bei 25 Grad, jeweils unter idealen Bedingungen. Damit wollte VW im November 2015 aufhören und einheitlich bei 23 Grad testen, so wie diese der neue WLTP-Zyklus seit 2018 vorschreibt. Auch daraus wurde nichts.
Nächste Flexibilität: Gemessen werden die Werte nicht sofort nach Abschluss eines Tests, sondern erst nach 6 Stunden Standzeit. So fallen die Werte niedriger aus. Die Standzeit wurde dann doch nicht abgeschafft.
Worauf VW damals auf keinen Fall verzichten wollte ist: auf das Wegschalten der Klimaanlage und auf den „optimalen Fahrer“. Ohne Einschaltung der Klimaanlage fährt man spritsparsamer. „Optimaler“ Fahrer heißt: man setzt einen VW Mann ein, um den Zyklus zu fahren, der Fahrzeug und Fahrzyklus ganz genau kennt. „So einer kann 3 bis 4% CO2 Einsparung erfahren“, weiß Dr. Friedrich.
Obwohl seit 2018 alle CO2 Verbrauchswerte der Autos nach den strengeren WLTP Zyklus gemessen werden, gibt es in Deutschland bis dato keine Vorschrift, die Autohersteller dazu zwingt, diese realistischen Verbrauchswerte auch gegenüber den Käufern in den Schauräumen, Webseiten und in der Werbung aus zu schildern. Damit haben deutsche Käufer keine Chance, sich für ein CO2 ärmeres Auto zu entscheiden. Das die Unterschiede zwischen den einzelnen Autos sehr groß sein können, zahlt sich ein Vergleich tatsächlich aus. Schuld an der mangelnden Transparenz ist die Verzögerungstaktik durch Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei der Umsetzung der Kennzeichnungsrichtlinie. „Da muss man nach Österreich schauen, wo dieselben Autos verkauft werden und die CO2 Werte nach WLTP ausgewiesen sind“, rät Dr. Friedrich mit unüberhörbaren kritischen Unterton.
Voilà, hier der Link: www.autoverbrauch.at
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