Im Pandemie-Jahr 2020 wurden vom Roten Kreuz Österreich schadhafte Schutzmasken an Krankenhäuser und Spitäler in ganz Österreich verteilt, die monatelang verwendet wurden. Gekauft wurden die Masken beim Südtiroler Sportartikelhändler OberAlp, der sie in China herstellen ließ. Dies deckten die zwei erfolgreichen Südtiroler Investigativ-Journalisten Christoph Franceschini und Artur Oberhofer in ihrem neuesten Buch „Das Geschäft mit der Angst“ (Edition AROB, ISBN 978-88-88396-32-3) auf.
10 Millionen Masken
gar nicht oder falsch kontrolliert
Aus dem Buch und weiteren Ermittlungsakten, die mir vorliegen, ergibt sich, dass dem Roten Kreuz (genauer: ihrer Tochter ÖRK Einkaufs- und Service GmbH, ÖRK E&S) vorgeworfen wird, die Ende Juni 2020 gelieferten 10 Millionen Masken zum Großteil gar nicht oder falsch kontrolliert zu haben, obwohl OberAlp dem Roten Kreuz in den Monaten davor fehlerhafte Masken und unbrauchbare Schutzanzüge geliefert hatte.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt bereits seit Dezember 2021 gegen drei OberAlp-Manger aus Südtirol und gegen einen Manager der ÖRK E&S wegen Verdachts auf schweren Betrug und Untreue. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Schaden für Republik Österreich
laut Finazprokuratur 40 Millionen Euro
Der angerichtete Schaden für die Republik Österreich beläuft sich laut Finanzprokuratur auf rund 40 Millionen Euro (genau: 39,787 Mio Euro) und umfasst neben mangelhaften Masken auch nutzlose, aber sehr teure Schutzanzüge.
Die skandalösen Abläufe in türkis-grünen Regierungszeiten unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz, haben auch eine politische Komponente und würden locker für eine Netflix-Serie ausreichen.
Man sieht, wie es einem renommierten und international erfolgreichen Familienbetrieb aus Südtirol gelang, wichtige Manager der Abnehmerorganisationen (Südtiroler Sanitätsbetriebe, ÖRK E&S) für sich einzuspannen und politische Netzwerke im konservativen Volksparteimilieu in Südtirol, Tirol und Österreich für seine Zwecke zu nützen.
Die Ereignisse zeigen auch, dass OberAlp an diesen Deals sehr viel Geld verdienen wollte und nicht, wie das Unternehmen bis heute betont, in der Not nur selbstlos helfen wollte. Auch in Italien und Deutschland laufen strafrechtliche Ermittlungen gegen OberAlp, in Italien sollen Anklagen unmittelbar bevorstehen.
Mit Hilfe des Aufdecker-Buches, zusätzlicher Dokumente, Aktenauswertungen und bisherigen Medienberichte in Österreich (Standard, Dunkelkammer, Kurier) ergibt sich momentan folgender Überblick, bei dem wichtige Fragen offen bleiben:
OberAlp will die Goldgräberstimmung
für Masken nützen
Ein chinesischer Geschäftspartner bot dem Südtiroler Sportartikelhändler OberAlp ursprünglich Masken zum Schutz der eigenen Mitarbeiter an. Zu Beginn der Pandemie, im März 2020, herrschte weltweit ein Griss um Masken und Goldgräberstimmung bei deren Herstellern. Flugs sah man bei OberAlp, dessen Umsätze pandemiebedingt um ein Drittel eingebrochen waren, ein neues gewinnträchtiges Geschäftsfeld.
Man vereinbarte am 17. März 2020 mit den Sanitätsbetrieben Südtirols den Ankauf von Masken und Schutzanzüge im Wert von 9,3 Millionen Euro.
8.000 Ärzte und Pfleger in den 7 Krankenhäusern Südtirols brauchen dringend dieses Schutzmaterial, um sich selbst und ihre Patienten und Altersheimbewohner vor dem todbringenden Virus zu schützen.
Österreich kam ins Spiel, weil das Schutzmaterial für die Südtiroler mitten im Lockdown aus China transportiert werden musste. Der Landeshauptmann von Südtirol, Arno Kompatscher, kontaktierte den damaligen Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz.
Beide waren als Spitzenfunktionäre der Südtiroler und Österreichischen Volkspartei gut vernetzt und Österreich gilt als „Schutzmacht“ für Südtirol, speziell wenn es brennt.
OberAlp bittet Südtirols Landeshauptmann um Unterstützung, nicht umgekehrt
Die Südtiroler Aufdecker-Journalisten decken in diesem Buch auf, dass es nicht der Südtirols Landeshauptmann gewesen war, der OberAlp um Hilfe gebeten hatte, sondern umgekehrt.
Ex-Bundeskanzler Kurz leitet das Anliegen der Südtiroler sofort an Verteidigungsministerin Claudia Tanner weiter, dessen Generalsekretär die Sache in die Hand nimmt. Dieser Generalsekretär im Verteidigungsministerium gilt als enger Vertrauter von Sebastian Kurz. Die AUA-Flüge werden organisiert.
Maskendeal mit Hilfe
der Regierung eingefädelt
Im Kontakt mit Österreichs Regierung kommt der Geschäftsführer von OberAlp auf die Idee, auch der österreichischen Bundesregierung Masken und Schutzanzüge aus China zu verkaufen. Am 20. März 2020 tritt das Außenministerium an das Österreichische Rote Kreuz heran und empfiehlt OberAlp als Lieferanten.
Praktischerweise schickt das Außenministerium gleich noch das Angebot von OberAlp an den Südtiroler Sanitätsbetrieb mit.
Land Tirol profitiert
von früher Maskenlieferung
Die Masken für die Sanität Südtirol kommen am Montag 23. März 2020 in Wien Schwechat an und werden sofort per Lkw nach Bozen gebracht. Ex-Bundeskanzler Kurz und Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck nützen die Landung weidlich für PR-Zwecke und lassen sich als Retter feiern, die den Südtirolern geholfen und dabei auch Masken für Österreich organisiert haben.
Am nächsten bzw. übernächsten Tag (24. bzw. 25. März) werden aus der Lieferung an die Südtiroler Sanitätsbetriebe 200.000 chirurgische Masken, 10.000 KN 95 Masken und 3.000 normale Schutzmäntel und 5.000 aseptische Schutzanzüge gleich wieder von Bozen nach Innsbruck transportiert, wo, wie überall, extreme Knappheit herrscht. Damit hat das Land Tirol einen nützlichen Zeitvorsprung , denn die die von Tirol bestellten Masken kommen erst eine Woche später.
Offen bleibt, ob und wieviel das Land Tirol für diese brüderliche Hilfe aus Südtirol gezahlt hat, oder ob damit die Kosten für den AUA Transport gegengerechnet wurden. Später stellt sich heraus, dass diese Masken überwiegend mangelhaft und ohne Zertifizierung waren, was den Vorteil für Tirol wohl zunichte macht.
Österreichische Rot-Kreuz Tochter kriegt
lukrativen Riesenauftrag vom türkisen Wirtschaftsministerium
Zurück nach Wien: Bis zum 24. März 2020 war das grüne Gesundheitsministerium (BM Anschober) Ansprechpartner für das Österreichische Rote Kreuz gewesen. Das ändert sich nun. Die Kompetenz für die Vergabe ging an das türkise Wirtschaftsministerium (BM Schramböck). Rückwirkend mit 16. April 2020 (Start des Lockdowns in Österreich) wird die ÖRK Tochter ÖRK E&S vom Wirtschaftsministerium (im Namen der Republik Österreich) mit dem zentralen Einkauf von Schutzmaterialen für den Bund beauftragt.
Zusätzlich zu den Kosten und Spesen darf die ÖRK E&S als Provision 1,5% auf die Auftragssumme draufhauen. Ein fetter Fisch, denn
bei insgesamt 170 Millionen Euro, die im Laufe der Zeit zusammenkommen, kann ÖRK E&S insgesamt 2,25 Millionen Euro an Provisionen einnehmen.
Offen ist, warum dieser Werksvertrag rückwirkend abgeschlossen und ausgerechnet das ÖRK damit betraut wurde und nicht die Bundesbeschaffungsagentur oder das Bundesheer, die passende Strukturen für diese Aufgabe haben.
Masken als Paket über die Brennergrenze geworfen
Das Wirtschaftsministerium veranlasst am 25.März 2020, dass die nach Wien eingeflogenen Masken für die Südtiroler Sanitätsbetriebe beim deutschen Prüfinstitut „Dekra“ geprüft werden.
Das negative Ergebnis liegt am 27.März vor:
die Lücken bei den Wangen sind so groß, dass nur eine eingeschränkte Prüfung möglich ist und keine Empfehlung abgegeben werden kann!
Die chinesischen Produzenten hatten wohl Maß an den chinesischen Kunden genommen und nicht an europäischen „Langnasen“.
Der involvierte Generalsekretär des Verteidigungsministeriums weiß recht früh (vor Vorliegen des negativen Dekra- Gutachtens), dass die gelieferten Masken nicht entsprechen und setzt alle Hebel in Bewegung, um den geplanten Deal mit OberAlp zu retten. Er gibt einen weiteren Test in Auftrag, diesmal bei einem Prüfinstitut des Bundesheeres, beim „Amt für Rüstung und Wehrtechnik“ (ARWT), das dem Verteidigungsministerium untersteht.
Der Mann scheut keine Mühen, die nötigen Masken für den Test zu besorgen. Er lässt sich vom Bundesheer die nötigen Masken-Proben rasch nach Wien bringen, die der OberAlp Geschäftsführer persönlich zur Brennergrenze gebracht und als Paket über die Grenze geworfen hatte.
Zwei vernichtende Gutachten
von Dekra und ARWT
Der Ergebnisse beim bundesheereigenen Testinstitut ARWT fällt noch katastrophaler aus:
39 der 50 Masken sind „bessere Taschentücher“, erfüllen nicht einmal die unterste Qualitätsstufe.
Die Empfehlung des ARWT: Masken nur als einfache Mund-Schutz-Masken (MN) verwenden. Dieses negative Gutachten geht an den auftraggebenden Generalsekretär im Verteidigungsministerium, der es an den OberAlp Geschäftsführer weiterleitet.
In seiner Einvernahme als Zeuge (am 15.9.2022) bestätigt dieser Generalsekretär gegenüber der WKStA, dass er mit OberAlp Stillschweigen über dieses negative Gutachten vereinbart hatte.
Dass es unter Verschluss gehalten wird, erklären die Buchautoren Franceschini/Oberhofer auf Seite 321 wie folgt:
„Man kann davon ausgehen, dass es dazu politische Weisungen von oben gibt“.
Diesmal wird nicht einmal die ÖRK E&S über das negative ARWT Gutachten informiert, obwohl man dort drauf und dran ist, Masken in großer Menge auf Kosten der Republik (sprich: Steuerzahler und Steuerzahlerinnen) zu kaufen.
Politik versucht,
das Zertifizierungsfiasko zu lösen
Bei OberAlp (Engl) weiß man zu diesem Zeitpunkt schon mit Gewissheit, dass die von China gelieferten Waren keine oder keine gültigen Zertifikate haben und das Kürzel „CE“ für „China Export“ steht und nicht etwa für die erforderliche „Certification Europenne“.
Man wusste auch schon, dass dieses in China produzierte Schutzmaterial nicht für medizinische Zwecke geeignet ist, sondern nur für „ordinary people“. Südtirol und Österreich hatten diese Masken aber genau für „medizinische Zwecke“ bestellt!
Um das „Zertifikatsfiasko“ unter Kontrolle zu bringen, schaltet man die Politik ein. Neben LH Kompatscher und BK Kurz mischt diesmal auch der Landeshauptmann von Tirol mit, damals Günther Platter.
Das Bundeskanzleramt hat entschieden:
nehmen
Die Österreichische Regierung findet eine Lösung, wie man die Masken auch ohne CE-Zertifizierung ins Land bringen kann:
man erleichtert die Importbedingungen per Sondererlass des Wirtschaftsministeriums.
Die Zeit drängt, denn immerhin waren bereits am 30. März die ersten 1,4 Millionen Masken für ÖRK E&S in Wien eingetroffen, obwohl die ÖRK E&S den Vertrag noch nicht unterschrieben hatte. Der Vertrag zwischen OberAlp und ÖRK E&S kam erst am 2. April zustande:
für 36,644 Millionen Euro wurden Masken und Schutzanzüge bei OberAlp bestellt.
Schon am Tag zuvor, am 1. April, hatte der OberAlp-Geschäftsführer um 16.03 Uhr intern gemailt:
„Analysen der Masken stehen zwar noch aus. Aber ÖRK nimmt alle Masken. Das Bundeskanzleramt hat entschieden: nehmen. Bitte Bestellung auslösen. Danke“.
Warum die ÖRK-Tochter diesen Vertrag unterzeichnete, obwohl die Mängel der OberAlp Maskenlieferungen an die Südtiroler Sanität durch zwei Gutachten belegt und eine weitere Prüfung der Masken durch das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) noch in vollem Gang war, erklären sich die Buchautoren Franceschini/Oberhofer aus den Seiten 324 und 326 wie folgt:
„Demnach dürfte es im entscheidenden Moment eine Intervention von höchster politischer Stelle gegeben haben, die alle bestehenden Bedenken vom Tisch gefegt hat“ .
Beim vereinbarten Warenwert von 36,644 Mio € springt für ÖRK E&S eine Provision in Höhe von 549.660 € heraus heraus, sodass die Republik Österreich insgesamt 37,194 Mio € Euro zahlen muss. Doch dieser Vertrag wird sich noch ändern.
Am 6. April platzt die Bombe: laut BEV -Prüfung können von den insgesamt 1,734 Millionen Masken, die OberAlp an das Rote Kreuz bisher in zwei Tranchen geliefert hatte, nur 236.700 als Atemschutzmasken eingesetzt werden. Der große Rest von 1.512.539 Masken stuft das BEV als einfache Mundschutzmasken zurück.
Das bedeutet im Klartext: 13% der Lieferung ist okay, 87% aber nicht.
Was macht das Rote Kreuz? Es reagiert ganz anders als sorgfältige Kaufleute, die in einem solchen Fall die fehlerhafte Ware zurückschicken und einen Preisabschlag fordern. Die ÖRK E&S schickt die negativen Testergebnisse an OberAlp und meinte lapidar, dass man in Zukunft nur jene Charge geliefert bekommen möchte, bei denen das Ergebnis positiv ausgefallen war.
Grünes Gesundheitsministerium zieht
Notbremse; Mangelhafte Masken
nur als einfachen Mundschutz verwenden
Es ist das grüne Gesundheitsministerium in Wien, das jetzt eine Art Notbremse zieht: man solle am Vertrag mit OberAlp festhalten, aber die mangelhaften 1,5 Millionen Masken dürften nur als einfache Mund Nasen Schutz Masken eingesetzt werden und nicht mehr für den Schutz der Ärzte, Pfleger und Patienten, für den sie eigentlich und dringend bestellt worden waren.
In Südtirol überschlagen sich die Ereignisse, nachdem am 6. April 2020 der Investigativ-Journalist Christoph Franceschini über die Onlineplattform „salto.bz“ die zwei vernichtenden Gutachten von Dekra und ARTW bekannt machte.
Der Bericht wurde auch in Österreich an diesem Tag medial breit aufgegriffen. Die Sondereinheit der Carabinieri, die Gesundheitsbehörde NAS , beschlagnahmte an diesem Tag 7,4 Millionen Masken und Schutzanzüge im Krankenhaus Bozen, Dokumente bei OberAlp in Bozen und am 9.4 wird bekannt, dass die Bozner Staatsanwaltschaft Vorermittlungen wegen der Maskeneinkäufe eingeleitet hat.
Nachdem auch noch die italienische Versicherungsbehörde INAIL ein negatives Gutachten über Masken und Schutzanzüge von OberAlp erstellt hat, muss OberAlp alle angeleierten Verkaufsverträge mit privaten Unternehmen in Italien stoppen und ihnen alle geleisteten Anzahlungen wieder zurückzahlen.
OberAlp zahlte 90 Millionen Dollar
vorab an chinesischen Partner
Damit wird es finanziell eng für OberAlp:
man hatte mit dem chinesischen Geschäftspartner erstens gar keinen schriftlichen Vertrag abgeschlossen, sondern nur auf Vertrauensbasis.
Zweitens hatte OberAlp
bereits am 25. März die unvorstellbar hohe Summe von 90 Millionen Dollar als Vorauszahlung nach China überwiesen,
damit mit der Produktion begonnen werden konnte, obwohl OberAlp damals die angeleierten Großaufträge (etwa der zweite Lieferauftrag Sanität Südtirol oder der Auftrag des ÖRK E&S) noch keineswegs in der Tasche hatte.
Die Chinesen brauchten diese Vorauszahlungen, damit ihre 14 Zulieferanten mit der Produktion starten konnten.
Lauter Zulieferanten, die bisher keinerlei Erfahrungen mit medizinischen Produkten hatten, sondern nur mit der Herstellung von Schuhen oder Kleidern.
Sondererlass des Wirtschaftsministeriums
erleichtert Masken-Import aus China
Während sich in Italien die Lage für OberAlp zuspitzt, kommt aus Österreich ein Lichtblick:
Das Wirtschaftsministerium gibt am 9. April einen Sondererlass heraus, dass auch Schutzbehelfe ohne CE-Kennzeichnung von einer akkreditierten Zertifizierungsbehörde nach positivem Prüfergebnis zertifiziert und freigegeben werden dürfen, aber nur für medizinische Zwecke.
Flugs wird dafür gesorgt, dass die vom BEV positiv getesteten Chargen für medizinische Zwecke in Österreich zertifiziert wurden.
Am 21. April 2020 wird der bestehende Vertrag des Roten Kreuzes mit OberAlp um 100.000 zusätzliche aseptische Anzüge aufgestockt:
Nunmehr steigt der Auftragswert an OberAlp auf 39,434 Mio. Euro.
Inklusive der 591.510 Euro Provision für die ÖRK E&S hat die Republik Österreich also 40, 025 Millionen Euro dafür zu zahlen.
Zweite Lieferung von OberAlp
an ÖRK fällt komplett durch
Am 23 April liefert OberAlp 600.000 Masken und 20.000 Anzüge an ÖRK E&, die beim anschließenden BEV-Test komplett durchfallen. Diesmal reagiert man beim ÖRK E&S nicht mehr so milde wie bei der ersten fehlerhaften Lieferung. Man schickt die gesamte Ladung an OberAlp zurück.
Der prädestinierte neue Einkaufsleiter bei der ÖRK E&S pocht gegenüber OberAlp darauf, dass das gelieferte Material für medizinische Zwecke geeignet sein müsse. Daraufhin bewirkt OberAlp bei seinem chinesischem Partner „einen Etikettenschwindel“ (Buch Seite 345):
die Aufschrift „not for medical use“, die auf der Verpackung diesen Masken tatsächlich aufgedruckt ist, wird kurzerhand entfernt, auch die in chinesischer Schrift.
China darf keine Masken
für medinische Zwecke exportieren,
die Österreich aber braucht
Am 18. Mai kriegt man in Wien (Wirtschaftsministerium, ÖRK E&S) mit, dass seit 26. April in China eine neue Vorschrift für Exporte von Schutzmaterialien gilt. Demnach müssen Exporteuer und Importeure in einer gemeinsam Importdeklaration unterschreiben, dass die Schutzbehelfe mit den Qualitätsstandards China und des Importstaats übereinstimmen.
Das Problem:
Die in China gefertigten Masken für OberAlp sind nach chinesischem Standard nicht für medizinischen Gebrauch hergestellt.
Also müsste der Importeur in Österreich bestätigen, dass die Masken für nicht medizinische Zwecke verwendet werden.
OberAlp fordert ÖRK E&S auf, bis zum nächsten Tag zu unterschreiben, dass die Masken in Österreich nicht für medizinische Zwecke verwendet werden. Dieses Ansinnen lehnt der Einkaufsleiter der ÖRK E&S ab, ebenso das Gesund- und Wirtschaftsministerium.
Damit nichts in die Öffentlichkeit kommt,
sollen Importregeln umgangen werden
Es folgen fieberhafte Verhandlungen, auch die Politik wird wieder involviert. Der Geschäftsführer der ÖRK E&S, gegen den wegen Verdachts auf schweren Betrug und Untreue ermittelt wird, spielt dabei eine zwielichtige Rolle.
Er denkt gemeinsam mit dem OberAlp Geschäftsführer laut darüber nach, dass jemand aus einem nicht-medizinischen Bereich die Masken kaufen solle, etwa die Wirtschaftskammer oder die Polizei.
Diese Organisationen hätten nichts mit Gesundheit zu tun und könnten durchaus Schutzmaterial für nicht-medizinische Zwecke einführen.
„Ob irgendjemand 16 Millionen Masken braucht oder nicht, ist völlig egal“, meinte der Mann (siehe Buch Seite 353).
Das wichtigste Ziel sei, die Sache nicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Dem ÖRK E&S Geschäftsführer geht es weder um den Schutz von Menschenleben noch ums Interesse seiner Organisation, der in diesem Fall ja die Provision wegbrechend würde.
Er gibt dem Geschäftsführer von Oberalp auch noch den Tipp, dem Wirtschaftsministerium mit einer Klage zu drohen, falls es aus dem Vertrag aussteigt (Buch Seite 352).
Österreichischer Käufer wird
zum Lobbysten des Südtiroler Verkäufers
Der Geschäftsführer der ÖRK E&S, so das Fazit der zwei Südtiroler Investigativ-Journalisten und Buchautoren, „vertritt weder die Interessen der Republik Österreich noch des eigenen Unternehmens, sondern wird zum Lobbysten und Anwalt der OberALp. Aus der Schicksalsgemeinschaft wird jetzt eine Art wirtschaftliche Kooperation“ (Buch Seite 352)
Am 2. Juni 2020 trifft man sich in Wien in einer großen Runde im Wirtschaftsministerium. Tenor: die Ministerien wollen aus dem Vertrag aussteigen, die Finanzprokuratur warnt vor dem Geschäft, ÖRK E&S und OberAlp wollen am Vertrag festhalten (Buch Seite 355).
Die Fronten driften hart aufeinander: Laut Sachverhaltsdarstellung der Finanzprokuratur hat das Wirtschaftsministerium dem GF der ÖRK E&S den Auftrag erteilt, die Ansprüche der Republik Österreich gegen OberAlp durchzusetzen.
Ausdrücklich wurde er angewiesen, auch den Schaden aus der Mangelhaftigkeit der 1,5 Millionen Atemschutzmasken aus den ersten Lieferungen im März/April 2020 geltend zu machen und den Rücktritt vom Vertrag zu erklären (Buch Seite 348).
Die ÖRK E&S schlägt hingegen vor, die Importerklärung zu unterzeichnen und am Vertrag festzuhalten, weil OberAlp ein zuverlässiger Vertragspartner sei, die bestellte Ware der höchsten Qualität entspreche und für den medizinischen Einsatz geeignet sei.
Auch der zweite Geschäftsführer der ÖRK E&S will am Vertrag festhalten, aber die gelieferten Masken jeweils auf Konformität prüfen.
Die durch Unterfertigung der Import-Erklärung erfolgte Zusicherung, die Masken nicht in medizinischen Bereichen zu verwenden, sollte erforderlichenfalls durch das Umpacken der Ware umgangen werden. (Buch Seite 348)
Trotz aller Widerstände
wird der Vertrag abgeschlossen
Erstaunlicherweise schafft man es also, am Vertrag festzuhalten! Wer dabei im Hintergrund welche Fäden gezogen hatte, ist offen.
Der ursprüngliche Vertrag vom 2.4 wird neu aufgesetzt und am 9. Juni unterzeichnet.
Das Auftragsvolumen bleibt mit 37,123 Millionen Euro nahezu gleich, es ändert sich aber die Zusammensetzung: die Masken werden von 20 auf 10 Millionen halbiert, die 460.000 aseptischen Anzüge unverändert gelassen und dazu noch 370.000 aseptische Anzüge geordert, die um 2 Euro teurer sind als die bisher georderten.
Im Klartext:
man erhöht den Preis der neu bestellten aseptischen Anzüge, damit man auf das ursprüngliche Auftragsvolumen kommt. Gleichzeitig unterzeichnet der GF der ÖRK E&S die Importdeklaration, wonach die importierten Schutzmaterialen nicht für medizinische Zwecke verwendet werden.
Kapitaler Fehler:
Keine Kontrolle für 6 Millionen Masken
Am 25. Juni 2020 landen die ersten 4 Millionen Masken in Wien, die zweiten 6 Millionen werden am 30. Juni 2020 geliefert. Nach der ersten Lieferung veranlasst der neue Einkaufsleiter bei der ÖRK E&S eine Prüfung bei BEV, die positiv ausfällt und vom die nötigen Zertifikate erhält.
Weil diese Probe aus der ersten Lieferung so gut ausgefallen ist, verzichtet die ÖKR E&S bei der zweiten, weit größeren Lieferung auf jegliche Tests. Ein kapitaler Fehler, wie sich herausstellen wird.
In der zweiten Augusthälfte werden die diese 10 Millionen Masken auf Krankenhäuser in ganz Österreich verteilt, davon 855.000 in Tirol, wo sie nicht nur in Spitälern, sondern auch in Alters- und Pflegeheimen verwendet werden.
Blitz aus Tirol:
Masken als mögliche Gefahrenquelle
für Pflegepersonal und Heimbewohner
Am 18. November schlägt der Blitz aus Tirol ein. Bei den Innsbrucker Sozial- und Pflegediensten, wo man die Masken auch in der mobilen Pflege und in Altersheimen einsetzte, gibt es gravierende Beschwerden.
Tirols Pflegedirektorin leitet an das Gesundheitsministerium die Warnung weiter, dass die Schutzmasken eine „mögliche Gefahrenquelle für Pflegepersonal und Heimbewohner“ darstellen.
8 Millionen mangelhafte Masken monatelang in sensiblen Bereichen eingesetzt
Die Blamage ist perfekt:
es stellt sich letztlich heraus, dass nur 2 Millionen der 10 gelieferten Masken dem Standard entsprechen und 8 Millionen nicht!
Von Ende August bis November 2020 wurden also Millionen mangelhafte Masken in sensiblen Bereichen in ganz Österreich ausgeteilt und wohl auch verwendet.
Die ÖRK E&S hat in ihrer Kontrollfunktion versagt. Womöglich noch blamabler: Erst jetzt fliegt dank akribischer Nachforschungen einer Beamtin des Wirtschaftsministeriums auf, dass bei den bisherigen Prüftests nicht darauf geschaut wurde, worauf es ankommt.
Bei Prüftests ist die jeweilige Produktionslosnummer ausschlaggebend und nicht etwa die ganze Charge, die sich ja aus verschiedenen Produktionslosnummern zusammensetzten kann.
Es war das Wirtschaftsministerium, das am 20.11.2020 alle anderen Beteiligten darüber aufklärte. Somit war auch klar, warum Masken aus der selben Charge höchst unterschiedliche Ergebnisse zeitigten.
Schon wieder hatte man für Österreich mangelhafte Masken gekauft, aber diesmal waren die miesen Masken bereits auf ganz Österreich verteilt worden, bis auf 2,8 Millionen Masken, die bis November noch nicht verteilt worden waren und im Verteidigungsministerium lagerten.
Welches Unheil damit angerichtet wurde und wieviel Menschen dadurch möglicherweise mit Covid angesteckt wurden, lässt sich im Nachhinein wohl kaum mehr feststellen! Im Vertrauen auf den Schutz durch die Maske agierten Pfleger oder Ärzte freier und hielten kleiner Distanzen ein.
Wirtschaftsministerium
schaltet Finanzprokuratur ein
Das Wirtschaftsministerium schaltete am 24.11.2020 die Finanzprokuratur ein, deren Aufgabe es ist, den Bund und seine Ministerien als Anwalt zu beraten und vor Gericht zu vertreten.
Das Gesundheitsministerium erteilte am 26. November 2020 die klare Dienstanweisung an das Management-Duo der ÖRK E&S, aufgrund der laufenden Erhebungen jegliche Kommunikation mit OberAlp sofort auszusetzen (Seite 360).
Einer der beiden hielt sich aber nicht an das Sprechverbot und kündigte dem Geschäftsführer von OberAlp an, dass die Republik Österreich OberAlp klagen werde.
WKStA wird eingeschaltet,
Kooperation mit italienischen Behörden,
Hausdurchsuchungen und Verhöre in Wien
Gleich im Dezember 2020 wurde die Finanzprokuratur aktiv, verlangte eine Sachverhaltsdarstellung von der ÖRK E&S und ersuchte mehrmals um italienische Ermittlungsakten (März 21).
Seit Dezember 2021 arbeitete die Finanzprokuratur mit der Bozner Staatsanwalt (Igor Secco) eng zusammen und übermittelte (im März und April 2022) eine Sachverhaltsdarstellung an die WKStA.
Es kommt zu Hausdurchsuchungen in Salzburg, wo OberAlp Austria seinen Sitz hat und in Wien, wo die ÖRK E&S beheimatet ist.
Die Landespolizei Wien verhört im Auftrag der WKStA und im Beisein der italienischen Ermittler am 14. und 15 September 2022 in Wien vier Personen, darunter auch jenen Geschäftsführer der ÖRK E&S, der sich über das Sprechverbot hinweggesetzt und eine zwielichtige Rolle eingenommen hatte.
Unter Aktenzeichen 21 St 2/21w ermittelt Oberstaatsanwalt Norbert Hauser wegen schweren Betrugs und Untreue gegen drei OberAlp Manager, gegen zwei OberAlp Firmen (in Bozen und in Salzburg) und gegen die ÖRK E&S.
Inzwischen wird der erwähnte zwielichtige Geschäftsführer der ÖRK E&S bei den Strafermittlungen formal als Beschuldigter geführt, wegen Verdachts auf schwere Untreue (Buch Seite 363)
Dabei geht um drei Komplexe:
- Lieferungen an die ÖRK E&S GmbH
- Lieferungen an das Land Tirol
- Doppelverrechnung 5000 aseptische Anzüge
Zum Punkt drei zur Doppelverrechnung aseptische Anzüge: am 30. März wurden von den Lieferungen an die Südtiroler Sanitätsbetriebe 5.000 aseptische Schutzanzüge für das ÖRK „ausgeliehen“ und von Bozen nach Wien gekarrt. Das hatte OberAlp mit einem Manager des Südtiroler Sanitätsbetriebs ausgehandelt, wohl als „Zuckerl“ für das Rote Kreuz für den geplanten Großauftrag. Fünf Monate später (im August 2020) bedankte sich der Geschäftsführer von OberAlp bei dem jetzt als Beschuldigten geführten Geschäftsführer der ÖRK E&S via Mail dafür, dass er ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass die ÖRK E&S dafür bisher nichts gezahlt hatte (Buch Siete 364). Am 13 .Oktober 2020 stellte OberALp der ÖRK-E&S GmbH für die 5.000 Anzüge eine Rechnung von 167.400 Euro aus, die prompt bezahlt wurde. Nur: Diese Schutzanzüge waren bereits vom Südtiroler Sanitätsbetrieb zur Gänze bezahlt worden. „Das war kein Schreibfehler“, halten die zwei Aufdeckerjournalisten in ihrem Buch auf Seite 364 fest.
Ein spannende Frage gilt es noch zu lösen,
die Frage der Wechselkursdifferenz.
Bei der Berechnung des entstandenen Schadens für die Republik Österreich geht die italienischen Gesundheitsbehörde NAS von einer Wechselkursdifferenz von 785.529,52 Euro aus, die WKStA beziffert sie mit 788.989,12 Euro.
Diese enorme Summe wurde der ÖRS E&S zusätzlich zur vereinbarten Vertragssumme von OberAlp aufgebrummt. Da im Kaufvertrag die Preise in Euro festgelegt wurden und OberAlp dem chinesischen Partner in Dollar zahlen muss, ist es durchaus üblich, den täglich schwankenden Dollarkurs zu berücksichtigen.
Das Risiko für den Dollarkurs wurde in diesem Fall der ÖRK E&S umgehängt. Sofern dies vertraglich so vereinbart worden war, ist auch das legitim. Merkwürdig ist nur, dass OberAlp laut Überprüfung durch die italienische Gesundheitsbehörde NAS zwischen März und August 2020 bei jeder einzelnen Rechnung automatisch eine Wechselkursdifferenz von 2% draufgeschnalzt hat (insgesamt waren das 29 Rechnungen), wodurch diese enorme Summe zusammenkam.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Dollarkurs in dieser Zeit jedesmal genau um 2 % geschwankt ist. Zu prüfen ist also, ob dieser 2% Aufschlag vereinbart worden waren und inwieweit die tatsächlichen Kursdifferenzen nicht bereits durch den zugrundeliegenden Dollarkurs von 1,10 abgedeckt waren.
Skepsis ist schon deswegen angebracht, denn dem Land Tirol hatte OberAlp die Wechselkursdifferenz gleich doppelt verrechnet, was in Tirol offensichtlich niemanden aufgestoßen ist und anstandslos bezahlt wurde.