Sozialer Sprengstoff an der Zapfsäule

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Mein Gastkommentar in der Wiener Zeitung

„Europas Raffinieren haben seit Kriegsbeginn ihre Netto-Gewinnmargen fast verdreifacht, stellte die Österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) fest. Seit Februar verteuerte sich ein 50 Liter-Tank für Diesel um 24,60 Euro, für Benzin um 25,80 Euro. Davon ist etwas mehr als die Hälfte auf gestiegene Rohölpreise zurückzuführen, der Rest auf saftigere Brutto-Margen der Raffinerien. Dass die BWB keinen Verstoß gegen Wettbewerb fand, liegt auf der Hand. „

Denn die Raffinerie-Preise für Treibstoffe entstehen nicht durch echten Wettbewerb am Markt, sondern orientieren sich an einem einzigen Maßstab: am Börsenpreis des Rotterdamer Produktenmarkts.

Damit haben sich Europas Anbieter auf ein sehr bequemes System geeinigt, das ihnen sichere Gewinne beschert. Der Preis für Diesel und Benzin wurde von einer Börse abhängig gemacht, auf der nur eine winzige Menge gehandelt wird (5 bis 9 %)!  

Die Raffinerien tun dabei so, als müssten sie jeden Liter Benzin und jeden Liter Diesel auf dieser Börse einkaufen. Selbst wenn sie ihre Treibstoffe ausnahmslos selber produzieren, verrechnen sie den Kunden stets diese Börsenpreise (für Tankstellen gibt es noch einen Aufschlag von 5 Cent dazu, der variiert kann). Sogar von ihren eigenen Tankstellen verlangen Raffinerien diese satten Preise. Ganz so, als wäre ein Cappuccino in ganz Europa genauso horrend teuer wie auf dem Markusplatz in Venedig.

Nach Kriegsausbruch ist genau das passiert, was an Börsen in Krisen immer passiert: es gab zwar keine echte Knappheit an Diesel und Benzin, sie wurde nur b e f ü r c h t e t. Das reichte, um die Börsenpreise nach oben zu treiben. Und weil sich die Raffinerien an ihnen orientierten, kam es zu den enormen Spritpreissprüngen. Gäbe es diese „Bindung“ nicht, hätten sich heimische Autofahrer seit Februar pro 50 Liter Tank bei Diesel 11,40 und bei Benzin 12,60 Euro erspart.

Jetzt wird’s spannend: in Deutschland werden diese Börsenpreise als Vergleichsmaßstab (“Benchmark”) für Preisverhandlungen betrachtet, an die man nicht stur festhält. Ganz anders in Österreich, wo diese Börsenpreise “direkt den Preis setzten”, wie die BWB (Seite 28 Fußnote 39) anmerkt. Österreich ist päpstlicher als der Papst.

Als Erstes muss Österreich diese automatische Bindung lockern und Treibstoffpreise stärker auf die tatsächlichen Raffineriepreise abstellen. Dann ist zu prüfen, wie schnell und stark vor allem die Rotterdamer Preissenkungen bei uns spürbar sind. Europaweit ist das ganze Börsenpreis-System zu überdenken.

Zu hohe Spritpreise zum Vorteil großer Konzerne sind keinesfalls im Interesse der Allgemeinheit. Sie setzten eine Kostenlawine in Gang, befeuerten die Teuerungsrate. In der Folge steigen automatisch alle Gebühren und Auszahlungen, die an die Teuerungsrate gekoppelt sind (Wasser, Kanal, Versicherungen, Pensionen, Mieten). Preissteigerungen auf allen Ebenen führen zu starken Lohn-Erhöhungen, auf die Unternehmen mit Kündigungen reagieren. Armut, Verteilungskämpfe und soziale Konflikte sind vorprogrammiert.“