Im Schatten des Russen-Krieges gegen die Ukraine wurde der Audi-Abgasskandal kurz vor Ostern um eine fatale Facette erweitert. Das Landgericht München II lehnte es ab, Audi-Abteilungsleiter Henning L. als Kronzeugen zu führen, sodass dieser weiter die Anklagebank drücken muss. Klaus Ott von der Süddeutschen Zeitung sieht darin ein „verhängnisvolles Signal: Auspacken lohnt sich nicht!“. Der im Abgasskandal sehr versierte Journalist sieht darin einen „ schweren Justizirrtum mit weitreichenden Folgen“.
Seit eineinhalb Jahren steht der Chemiker und Techniker unter Betrugsverdacht vor Gericht, zusammen mit Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und anderen Angeklagten. Seine Verteidiger hatten beantragt, das Verfahren gegen ihn einzustellen, weil er ein Kronzeuge sei, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Kronzeugen sind Mittäter, die reden, während andere noch schweigen, und die wertvolle Hilfe bei der Aufklärung leisten. Die Staatsanwaltschaft München II hat vor Gericht die Aufklärungshilfe von L. als geradezu “vorbildlich” gerühmt und den Antrag der Verteidigung wortreich unterstützt. Doch das Landgericht wollte sich einfach nicht überzeugen lassen, schreibt die Süddeutsche weiter.
Erfahrungen auch in Österreich zeigen, dass große Skandale nur mit Hilfe von Insidern auffliegen bzw. aufgeklärt werden können. Man denke etwa an den Wirecard-Skandal, an den Cum-Ex-Steuerskandal oder an die legendären schwazen Kassen von Siemens. Auch bei der Klärung von Kartellverfahren ist man auf Kronzeugen angewiesen.
Wie es Klaus Ott formuliert: „Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland können sich nun, ironisch gesagt, beim Landgericht München II bedanken, wenn sie keine Kronzeugen mehr finden. Wenn es nicht mehr gelingt, Schweigekartelle zu durchbrechen, weil Verteidiger ihren Mandanten raten, zu schweigen. Und was nützt das Vorhaben von Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP, sogenannte Whistleblower zu schützen, wenn die Justiz genau das Gegenteil praktiziert? Gar nichts! Buschmann, Staatsanwaltschaften und Gerichte können einpacken, wenn das Auspacken nicht gewürdigt wird.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Audi-Abteilungsleiter ist allerdings kein Whistleblower, der Missstände aufzeigt, noch bevor die Behörden davon wissen. Er hat erst geredet, als US-Behörden die Abgasaffäre beim Audi-Mutterkonzern VW bereits enthüllt hatten, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Aber er hat dann nicht mehr gewartet, bis deutsche Staatsanwälte zu ihm kamen, sondern hat sich als Kronzeuge angeboten und anschließend tiefe Einblicke in die Machenschaften bei Audi ermöglicht. Und er hat das verhängnisvolle, von Druck geprägte Klima im Konzern zu Zeiten von Vorstandschef Stadler geschildert, der alle Vorwürfe zurückweist.