Überraschenderweise hat der italienische Staatsrat eine 5 Millionen Euro Strafe gegen VW Italia verhängt und damit das Urteil der italienischen Wettbewerbsbehörde aus 2016 bestätigt.
„Derzeit ist noch schwer abschätzbar, ob und inwieweit diese Entscheidung für unsere Musterfeststellungsklage in Braunschweig relevant sein kann“, analysiert die Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale (VZS), Gunde Bauhofer, die für 1.300 Südtiroler gegen VW in Braunschweig eine Musterfeststellungsklage führt.
Sie sorgt dafür, dass die verbraucherfreundlichen Argumente dieser Entscheidung in die nächste Verhandlung in Braunschweig einfließen, die Mitte Juni stattfindet.
Diese Entscheidung der Italiener ist eine echte Sensation und juristisch ausführlich begründet. Auch Kläger aus anderen Staaten könnten in diesen 92 Seiten fündig werden. Eine Sensation ist sie aus mehreren Gründen.
Die Italiener werfen die bisherige Verteidigungslinie
des Volkswagenkonzerns über den Haufen
Diese baute darauf auf, dass man nicht zweimal für dasselbe Vergehen Strafe zahlen muss. VW hatte bereits 2018 in Deutschland eine Milliarde Euro Bußgeld bezahlt, weil die interne Aufsichtspflicht in der Entwicklungsabteilung verletzt worden war, was mitursächlich für weltweit 10,7 Millionen manipulierte Dieselfahrzeuge gewesen sei.
Die Hoffnung von VW, nicht ein weites Mal bestraft zu werden, machte Italien nun mit folgender Argumentation zunichte: Es gebe keine materielle Übereinstimmung zwischen den in Deutschland und in Italien festgestellten Fakten.
Auch formell gibt es keine Übereinstimmung, denn in Deutschland wurde der VW Konzern bestraft und in Italien auch VW Italia. Daher treffen die Voraussetzungen für den Grundsatz „ne bis in idem“ (EuGH C-27/22 vom 14.09.2023) in diesem Fall nicht zu.
Über den Haufen wirft Italien auch die
Verteidigungslinie der anderen Autobauer und Zulieferer
Auch Audi, Porsche, Mercedes, BMW und Opel und der Zulieferfirmen Bosch, ZF und Conti haben in Deutschland bereits Ordnungstrafen wegen Vernachlässigung der internen Aufsichtpflicht Bußgelder bezahlt. Insgesamt 3,5 Millarden Euro (siehe Auffstellung untern) wanderten damit in die Kassen deutscher Bundesländer, allen voran ins grüne Baden-Württemberg und nach Niedersachsen. Auch sie bauten darauf, kein zweites Mal mehr bestraft zu werden.
Erfreulich aus Sicht der Verbraucher ist die Begründung des italiensichen Staatsrats, so VZS-Geschäftsführerin Bauhofer:
„In Deutschland ging es um Verletzung der internen Aufsichtspflicht, in Italien aber um unlautere Handelspraktiken gegenüber den Verbrauchern. Bei den manipulierten Dieselautos haben die Konsumenten nicht bekommen, was sie gekauft haben. Die wirtschaftliche Entscheidung der Konsumenten erfolgte aufgrund einer falschen Annahme.“
Bei der seit 2021 laufenden Musterfeststellungsklage der VZS gegen VW steht inzwischen außer Streit, dass sie nach italienischem Recht ablaufen wird. Die jetzt vom Staatsrat angeführten Elemente des Verbraucherschutzes sollten daher auch hier Gehör finden.
In Italien ist ein weiters Verfahren
gegen VW im Gange
Die Verbraucherorganisation „Altroconsumo“ hat in Italien eine Sammelklage gegen VW für 63.000 Käufer angestrengt. In erster Instanz war den Klägern ein materieller und ein immaterieller Schadenersatz zugesprochen worden, 3.000 Euro (materiell) und 300 Euro (immateriell). In zweiter Instanz hatte das Berufungsgericht („Venediger Urteil“) den materiellen Schadenersatz gekippt und nur mehr den immateriellen Schadenersatz von 300 Euro zugesprochen. Altroconsumo hat angekündigt, dieses Urteil vor dem Kassationsgerichtshof anzufechten.
Zu den in Deutschland gezahlten Bußgeldern
(Ordnungswidrigkeit) wegen Verletzung der internen Aufsichtspflicht: 3,5 Milliarden Euro haben Autohersteller (VW, Audi, Porsche, Mercedes, BMW, Opel) plus Zulieferfirmen (Bosch, Conti, ZF) anstandslos bezahlt. Das Geld floss jenen deutschen Bundesländern zu, in denen der Firmensitz dieser Unternehmen ist liegen. Diese Strafzahlungen gliedern sich auf wie folgt (siehe AK Dieselstudie, Ninz, Holzleitner Seite 93ff)
VW Konzern 1 Milliarde Euro (an Niedersachsen)
Audi 800 Millionen Euro (an Bayern)
Porsche 535 Millionen Euro (an Baden-Württemberg)
Mercedes 870 Millionen Euro (an Baden-Württemberg)
BMW 8,5 Millionen Euro (an Bayern)
Bosch 90 Millionen Euro (an Baden-Württemberg)
Continental 100 Millionen Euro (an Niedersachsen)
ZF 42,5 Millionen Euro (an Baden-Württemberg)
Am meisten profitiert hat sohin das grün regierte Bundesland Baden-Württemberg (1,45 Mrd. Euro), gefolgt von Niedersachsen (1,1 Mrd. Euro) und Bayern (808,5 Mio).