Der EuGH hat „Thermofenster“ in Dieselautos grundsätzlich für illegal erklärt, es den nationalen Gerichten aber überlassen, über Ausnahmen zu entscheiden. Das neueste EuGH-Dieselurteil stärkt Klägern inhaltlich den Rücken, löst die Blockaden bei Gericht und eröffnet möglicherweise Chancen zu weiteren Klagen. Allerdings können die nationalen Gerichte die Klagen gegen VW jetzt nicht einfach durchwinken. Denn der EuGH gibt stets nur den Rahmen vor und hat den nationalen Gerichten die Entscheidung überlassen, ob sie Ausnahmen zulassen. Dabei haben die Höchstrichter in Luxemburg ihnen so enge Grenzen gesetzt, dass sie zu keinem anderen Ergebnis kommen können, als „Thermofenster“ ebenfalls zu verbieten.
Was hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) genau entschieden? Es ist unzulässig, die Abgasreinigung von Dieselautos die meiste Zeit im Jahr auszuschalten und sie funktioniert, wenn es draußen zwischen +15 und +33 Grad Celsius hat. Sinn einer Abgasreinigung ist es ja, dass die Autos die Grenzwerte für das schädliche Abgas Stickoxid (NoX) einhalten, die Umwelt nicht gesetzwidrig zu verpesten und die Gesundheit der Menschen nicht zu gefährden. In Österreich mit einer Jahrestemperatur von durchschnittlich 7,4 Grad ist sicher: ein derart programmiertes „Thermofenster“ führt dazu, dass die Abgasreinigung „überwiegend“ abgeschaltet bleibt, was grundsätzlich unzulässig ist.
In aller Klarheit stellte der EuGH fest, dass solche Abschaltungen auch dann illegal sind, wenn sie von nationalen Behörden zugelassen wurden, die Autos eine aufrechte Typengenehmigung haben oder erst im Zuge eines Software-Updates aufgespielt wurden.
Da VW beim gesetzlich verordnetem Rückruf genau solche „Thermofenster“ im Zuge des Software-Updates aufgespielt hat, die von der zuständigen deutschen Zulassungsbehörde auch genehmigt worden sind, hätte das Urteil gravierende Folgen für den Konzern: 8,4 Millionen Autos in ganz Europa wären illegal, davon 380.000 in Österreich. Sie müssten womöglich ersetzt, repariert oder zurückgekauft werden. Nicht nur die zurückgerufenen VW Autos mit dem EA 189 Motor (auf die sich das EuGH Urteil direkt bezieht), wären illegal, sondern auch jene „Thermofenster“, die in anderen Automarken mit einer technisch gleichartigen Abgasreinigung (AGR) eingebaut wurden, wie Mercedes, Fiat, Opel, Ford und Renault.
Zehntausende anhängige Gerichtsverfahren, bei denen das EuGH-Urteil abgewartet wurde, kommen jetzt wieder in die Gänge. So auch die Sammelklagen des Vereins für Konsumentenschutz (VKI) mit 10.000 Betroffenen, die seit 2018 laufen sowie Tausende individuelle Klagen gegen VW, speziell in Österreich und Deutschland.
Hierzulande muss der Oberster Gerichtshof (OGH) also entscheiden, ob „Thermofenster“ zum Schutz des Motors ausnahmsweise zulässig sind, wie dies der milliardenschwere Konzern und die deutsche Bundesregierung argumentieren. Konkret ist zu prüfen ob: a) diese Abschalteinrichtungen technisch notwendig waren, um den Motor vor schwerwiegenden Schaden zu schützen und den sicheren Betrieb zu gewährleisten und ob b) es zur damaligen Zeit keine alternative Technologie gegeben hätte.
Für Experten wie Dr. Axel Friedrich, der mit unzähligen Messungen für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ganz wesentlich zur Aufdeckung des VW Skandals beigetragen hat, liegt es auf der Hand, dass keine Ausnahmen gestattet werden können.
Zu a) Ein Auto, das nur dann sicher fahren kann, wenn die Abgasreinigung öfters abgeschaltet als eingeschaltet ist, dürfte schon aus Sicherheitsgründen nicht auf den Markt kommen. Es darf nicht sein, dass eine Ausnahme öfter vorkomme als die Regel, denn das würde ja dem Sinn des Gesetzes zuwiderlaufen, gibt der EuGH in seinem Urteil vor.
Zu b) Technische Alternativen zum Abgasrückführungssystem (AGR) gibt es schon seit 2008, als die Produktion der beanstandeten VW Dieselautos begonnen hat. Damals wurden Modelle von VW, Audi, Daimler und BMW, in die USA exportiert und waren bereits mit dem viel aufwendigeren SCR Katalysator und AdBlue ausgestattet. Doch letztere kostete 500 Euro pro Fahrzeug und war viel teurer als die billige AGR mit 30 Euro. Hier kommt wieder der EuGH ins Spiel, der in seinem Urteil zweifelsfrei festlegt, dass höhere Preise kein Hindernisgrund sein dürfen, eine bessere alternative Lösung einzubauen.
Dass VW und die deutsche Regierung mit allen Mitteln versuchen, sich mit einer Ausnahme-Erlaubnis zu retten, ist kaum verwunderlich. Es ist auch die konsequente Fortsetzung der Konzernstrategie, technische Fakten in Zweifel zu ziehen, um die (technisch unbedarften) Gerichte zu verwirren, Klagen zu gewinnen, Urteile zu verzögern und potenzielle Kläger abzuschrecken.
Gut in Erinnerung ist, wie VW Anwälte eiskalt abstritten, dass man in Europa – anders als in Amerika – die Abgasgrenzwerte nur am Prüfstand einhalten müsse und nicht auf der Straße. Ein kompletter Unsinn, wie sich mit dem EuGH-Urteil von Dezember 2020 herausstellte. Ein weiteres Argument von vor Gericht (etwa in Linz) war, dass es auf die Einstellung der Käufer ankomme, ob ihnen die Umwelt beim Autokauf wichtig gewesen wäre. Ein weiterer Unsinn, mit dem das jetzige EuGH-Urteil ebenfalls aufräumt: Natürlich kommt es nicht auf die Gesinnung der Käufer an, sondern auf die Tatsache, dass die Kunden nicht das bekommen haben, wofür sie zahlten.