Für Hochspannung in ganz Europa sorgt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die sogenannten “Thermofernster”, das am Donnerstag 14. Juli veröffentlicht wird. Es ist das erste Urteil des EuGH zu diesem Thema, für österreichische Gerichte bindend ist und kam auf Antrag des Obersten Gerichtshofs (OGH) zustande. Im Kern geht es darum, ob den Käufern Schadenersatz für Dieselautos zusteht, deren Abgasreinigung nur bei bestimmten Außentemperaturen voll funktioniert (zwischen 15 und 33 Grad), selbst wenn diese Autos eine aufrechte Typengenehmigung und ein Software-Update hinter sich haben. “Ich bin optimistisch, dass die große Kammer des EuGH diese Thermofenster als unzulässig einstuft, wie zuvor schon Generalanwalt Rantos” meint dazu Rechtsanwalt Michael Poduschka, der mit zwei Fällen die Sache ins Rollen gebracht hat.
Es geht um drei Klagsfälle, die allesamt VW Diesler der Abgasnorm Euro 5 mit dem Betrugsmotor EA 189 betreffen. Diese Verfahren wurden aus- gesetzt, bis der EuGH die Fragen klärt. Das Urteil des EuGH ist vom OGH umzusetzen und bindend für alle anderen Gerichte in Österreich. Erste direkte Auswirkungen hat es auf alle Verfahren, die anhängig sind und die bis zum EuGH-Urteil ausgesetzt wurden: das sind laut Schätzungen Poduschkas 1.300 bis 1.500 anhängige Verfahren gegen VW. Relevant ist das Urteil in der Folge auch für die anhängigen VKI-Sammelklagen für 10.000 Betroffene, die derzeit ebenfalls ausgesetzt wurden. Keine Aussagen sind vom EuGH über die Höhe des anfallenden Schadenersatzes zu erwarten. Dieser hängt auch davon ab, ob auf Rückabwicklung des Kaufvertrages oder auf Wertminderung geklagt wurde. Im ersteren Fall wird für die gefahrenen Kilometer ein Nutzungsentgelt abgezogen, im zweiten Fall nicht. Ganz Europa blickt deshalb mit Spannung auf die Antwort des EuGH auf die österreichischen Fälle weil es zum Thema Thermofenster bisher noch kein dezidiertes EuGH-Urteil gibt. Allerdings ist dem EuGH-Urteil von Dezember 2020 indirekt zu entnehmen, dass selbstverständlich auch Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen sind. Auch Generalanwalt Rantos hatte im September 2021 mit großer Klarheit in seinem Schlussantrag Thermofenster als illegal ein- gestuft. Obwohl der EuGH sich nicht immer der Meinung seiner Generalanwälte anschließt, ist in diesem Fall damit zu rechnen. Eine ganz andere Frage ist, welche Auswirkungen das Urteil auf Staaten wie Deutschland haben wird, wo der Bundesgerichtshof im Gegensatz zum OGH bereits Urteile gefällt hat, die im Kontrast zum EuGH-Urteil stehen könnten. Spannend ist auch, wie in der Konsequenz mit den Rückrufen der Betrugsautos in den einzelnen Staaten vorgegangen wird. Sollte der EuGH die Thermofenster deutlich als illegal ein- stufen, wären auch zurückgerufenen VW-Autos, die ein Software- Update hinter sich haben, illegal unterwegs, weil sie – so wie es aussieht – weiterhin Thermofenster eingebaut haben (nur die Umschaltlogik wurde entfernt). Österreichs Regierung könnte ihnen daher die Typengenehmigung entziehen. Grüne Verkehrs- ministerinnen hätten die Möglichkeit, mit einem Schlag Hunderttausende Dieselautos zwingend mit Hardware- Nachrüstungen zu versehen oder sie zu verbieten. In einem der drei Rechtsfällen, die zu der Anfrage des OGH an den EuGH geführt haben (RS 145/20) betrifft eine Klage gegen Inter Porsche (als Händler) und die VW AG (als Hersteller). Vor dem Landgericht Linz und vor dem Oberlandesgericht Linz blitzte der Kläger ab und gingen in Revision. Der OGH legte dem EuGH folgende Fragen drei zur Vorabentscheindung vor: 1. Ist Art. 2 Abs. 2 lit. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parla´-ments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Ver- brauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Ratsvom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 3 Ziffer 10 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann? |
2. Ist Art. 5 Abs. 2 lit. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 3 Ziffer 10 dieser Ver- ordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außer- halb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art. 5 Abs. 2 lit. a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschrän- kung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus? |
3. Ist Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art. 3 Ziffer 10 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als gering- fügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte? |
Soweit die genauen Fragen. In seinem Schlussantrag hatte EuGH-Generalanwalt Rantos ganz speziell auf diese Rechtssache aus Österreich Bezug genommen (145/20), ebenso wie auf die zwei anderen Rechtsfälle. Solche “Thermofenster” sind seiner Meinung nach illegal, weil sie mehr als sechs Monate im Jahr die Abgasreinigung außer Kraft setzten. Zudem befand er klipp und klar, dass solche Abschalteinrichtungen keinesfalls mit dem Schutz von Motorbauteilen gerechtfertigt werden können. Für Santos spielt es auch keine Rolle, dass solche Autos zugelassen sind und man damit legal fahren kann. Durch ein Software-Update, so Rantos weiter, könne den ursprünglichen Mangel auch nicht beseitigt werden. Der angerichtete Schaden sei nicht “geringfügig” und es spielt auch keine Rolle, ob der Käufer auch bei Kenntnis der Abschalteinrichtung das Auto gekauft hätte oder nicht.