Ein doppelter „“Booster“ für österreichische Mercedes-Kläger kommt von EU Generalanwalt. Der hat am 2. Juni 2022 festgestellt hat, dass Dieselabgas-Klägern Schadenersatz zusteht und dass auch alle „Thermofenster“ illegal sind. Das ist ein echter Booster für Mercedes-Käufer, weil dieser Konzern die Illegalität seiner eingebauten „Thermofenster“ stets bestritten hatte. Und es ist ein doppelter Booster für österreichische Mercedes-Käufer, weil ihnen der Verbraucherschutzverein (VSV) aktuell die Chance bietet, risiko- und kostenlos in Deutschland zu klagen. Freilich müssen die Schlussanträge von EU-Generalanwalt Rantos noch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt werden. Das stufe ich aufgrund der bisherigen EuGH-Urteile in der Abgassache als ziemlich wahrscheinlich ein, kann aber noch bis Jahresende dauern.
Vier wichtige Feststellungen hat Rantos in seinen Schlussanträgen getroffen.
- Die EU-Normen für Autos schützen nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch die einzelnen Käufer.
- Den Käufer steht ein Schadenersatz durch die Hersteller (nicht Händler) zu, wenn das gekaufte Auto nicht der Typisierung entspricht, was bei den Betrugsdieslern ja der Fall ist. Schließlich hatte der Autohersteller in einem eigenen Dokument (mit der sog. Übereinstimmungsbescheinigung) dem Käufer gegenüber bescheinigt, dass die EG-Typengenehmigung eingehalten werde. Abgasexperte und langjähriger Aufdecker des Abgasskandals, Dr. Axel Friedrich, der mit Tausenden Messungen nachgewiesen hat, dass Diesel-Autos von der Typengenehmigung abweichen und viel zu viel schädliche Abgase (Stickoxide) ausstoßen, hat gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) jahrelang dafür gekämpft, dass dieser wichtige rechtliche Aspekt endlich von den Gerichten berücksichtigt wird.
- Wie der Schadenersatz berechnet wird, ist zwar Sache der Mitgliedsstaaten. Der zu leistende Schadenersatz muss aber dem erlittenen Schaden „angemessen“ sein, unter Anwendung des „Effektivitätsgrundsatzes“. Das heißt im Klartext, dass die Geschädigten weder bereichert werden dürfen, noch dass sie komplett durch die Finger schauen. In Deutschland etwa werden vom erstrittenen Schadenersatz derzeit die gefahrenen Kilometer abgezogen, sodass bei einem Auto mit viel Kilometern am Tacho möglicherweise nichts mehr vom Schadenersatz übrig bleibt. Das wäre also nicht im Sinne des EU-Generalanwaltes.
- Eine wichtige Präzisierung betrifft die sog. „Thermofenster“, die Betrugsfenster genannt werden müssen. Damit meint man Autos, bei denen ab einer bestimmten Außentemperatur (auch Höhenmetern) die Abgasreinigung schrittweise oder komplett reduziert wird und die in der Folge ein Vielfaches an gefährlichen Abgasen (Stickoxiden) in die Luft jagen. Bei VW hat es dafür einen eigenen „Umschalter“ gegeben: auf der Straße wurde auf den Schmutzmodus umgeschaltet, während bei der erstmaligen Zulassung auf dem Prüfstand (Typisierung) stets der Saubermodus zugeschaltet war. Mercedes hat solche Betrugsfenster in seinen Autos zwar nie bestritten, sondern sie mit dem Schutz des Motors begründet. Außerdem verteidigte sich Mercedes damit, dass seine Thermofenster überall gleich funktionieren, auf der Straße und auf dem Prüfstand und daher keine betrügerische Absicht vorliege. Nun stellte der EU-Generalanwalt aber klar, dass Thermofenster in unseren Breitengraden nicht dem Schutz des Motors dienen und dass sie auch dann noch illegal bleiben, wenn es keine Extra-Umschaltlogik gibt. Zur Info: Bei der Typisierung herrschte bis vor kurzen eine vorgeschriebene Temperatur zwischen 20 und 30 Grad, bei der die Abgasreinigung sowie so voll funktioniert, sodass die Autos alle Abgastests tadellos bestehen konnten. Erst bei Außentemperaturen unter 20 und über 30 Grad treten die Betrugsfenster in Aktion, bzw. greift das Zurückschalten der Abgasreinigung .
Die nun erfolgte Präzisierung des Generalanwaltes kann Experten nicht überraschen. Schließlich hatte der EuGH bereits in seinem Urteil von 17. Dezember 2020 implizit klargemacht, dass diese Betrugsfenster allesamt illegal sind. Nicht nur Mercedes kann sich warm anziehen, der der EuGH sich seinem Generalanwalt anschließt, sondern auch FIAT, Renault, Suzuki und alle Hersteller, die das Funktionieren der Abgasreinigung von einem Parameter abhängig machen, der mit der Abgasreinigung eigentlich nichts zu tun hat: Abschalten nach einer gewissen Zeit, ab einem gewissen Drehmoment oder bei bestimmten Geschwindigkeiten muss demnach auch als illegal eingestuft werden.