Nicht nur als VW-Geschädigte bleibt einem die Spucke weg, was – im Jahr 6 nach Patzen des VW Dieselskandals im September 2015 – dank der juristischen Herkulesarbeit der DUH und seines Anwaltes Dr. Remo Klinger jetzt aufgetaucht ist. Bereits im Oktober 2015 hat die zuständige deutsche Behörde, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) mit einem amtlichen Bescheid in aller Deutlichkeit festgestellt, dass die in VW-Dieselautos eingebauten Abschalteinrichtungen selbstverständlich auch in Europa illegal sind und nicht nur in den USA. Auch in Europa ist es verboten, die Wirkungsweise der Abgasreinigung auf der Straße mit Hilfe eine Umschaltfunktion zu verringern. Schon damals im Oktober 2015 fegte das KBA die VW-Gegenargumente vom Tisch und zwar im Wissen und im Einklang mit dem Bundesverkehrsministerium.
Trotzdem gingen die VW Anwälte (Freshfields) in der Folge damit haussieren, in Europa sei alles rechtens gelaufen. Jahrelang tischten sie der Öffentlichkeit, Medien, Gerichten und VW Käufern Falschmeldungen auf. So behaupteten sie, Grenzwerte für das schädliche Abgas NOX seien in Europa nur beim Testen einzuhalten und nicht auf der Straße. Abweichungen zwischen Test- und Fahrbetrieb würden „nach der bisherigen Rechtslage von dem Gesetzesgeber bewusst hingenommen“ unterstellten die Anwälte und beriefen sich laut veröffentlichter Dokumente und auf eine „politische Festlegung“, „Emissionsgrenzwerte (allein) unter Laborbedingungen festzulegen“. Den Beweis für diese faktenwidrige Behauptung blieben sie schuldig. Vor Gericht verbohrten sich die VW-Anwälte in technische Details und bestritten sogar, was das KBA in seinem Bescheid längst außer Streit gestellt hatte: dass die „Abgasrückführung“ (AGR) selbstverständlich ein Konstruktionsteil des Abgasreinigungssystems ist. Unzählige Sachverständige mussten klagende Anwälte für Gutachten in Bewegung setzten, um diese absurde Behauptung vor Gericht zu widerlegen.
Statt die ihnen bekannten Fakten richtig zu stellen, machte die Behörde und das eingeweihte Verkehrsministerium dem Weltkonzern die Mauer. Sie fanden es nicht der Mühe wert, die Sache beim Namen zu nennen, geschweige dann, aufzuklären. Statt von einer „unzulässigen“ Abschalteinrichtung sprach der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobindt (CSU) im Bundestag nur von einer „beanstandeten“ Abschalteinrichtung. Dieses irreführende „Wording“ hatte er vor seiner Rede am 13. Oktober 2015 mit VW abgesprochen, wie die Geheimpapier jetzt enthüllen. „Behörden und Ministerium haben von der Illegalität gewußt, es aber verabsäumt, dies klar zu benennen“, bringt es DUH-Geschäftsführer Dr. Jürgen Resch auf den Punkt.
Mit falschen Aussagen ist es dem Konzern jahrelang gelungen, Richter zu verwirren und Kunden vor Klagen abzuschrecken. „Mit dem Wissen von damals hätten sich VW Kunden viel besser wehren können“, stellt der DUH-Geschäftsführer fest. Zu Recht. Den viele Kunden haben im Zweifel nicht geklagt, der „deutschen“ Ingenieurskunst und den Behörden vertraut. Der versierten Truppe rund um Resch – mit Abgas-Doyen Dr. Axel Friedrich und Rechtsexperte Dr. Remo Klinger – war längst klar, was hinter den Kulissen gespielt wurde. Deswegen haben sie mit allen rechtlichen Mitteln um die Herausgabe behördlicher Dokumente gekämpft. Ohne die Expertise, Konsequenz und die Hartnäckigkeit des DUH-Teams würden wir heute noch im Dunklen tappen. Dass sich diese Behörde, im Gängelband des Ministeriums, so lange geweigert hat, mit ihren Entscheidungsgrundlagen herauszurücken ist, muss wohl „als enge Kumpanei“ (Copyright Resch) zwischen Autokonzern und deutschen Amtsträgern ausgelegt werden, die unakzeptabel ist. Doch während des zermürbenden fünfjährigen K(r)ampfes sind Schadenersatzansprüche millionenfach verjährt.
Noch zwei brisante Hämmer sind ans Tageslicht gelangt, die nicht nur den VW Geschädigten die Haare aufstellen, sondern allen, denen Gesundheit, Umwelt und Rechtsstaatlichkeit zentrale Anliegen sind.
Hammer Nummer 1: Schon vor Beginn der Rückrufe, zu denen das KBA den VW Konzern verpflichtet hatte, war klar, dass die aufgespielte Software (Software-Update) nicht dazu taugte, den schädlichen Ausstoß von Stickoxiden wesentlich zu senken. Lediglich 12 bis 15 % weniger NOX sollte danach aus den Auspuffen knallen – so lautete die Erwartung. Das muss man sich einmal vorstellen: zuerst sorgt der Autokonzern dafür, dass die maximal erlaubte Abgasmenge bis zu 500% überschritten wird, um als Reparatur eine lächerliche Senkung um 15% anzubieten. Das ist wie ein Raser, der mit 250 km/h statt 50 km/h durchs Ortsgebiet brettert und dann mit 213 km/h weiterrast, nachdem ihn die Polizei erwischt hat. Der Unterschied zum Fall VW: dort haben Behörden und Politik diese unwesentliche Verringerung einer massiven Übertretung bewusst hingenommen. Noch schlimmer: Offizielle Messungen bei einigen dieser Betrugsdiesel ( A4 Avant, Audi Q5) noch vor Start der Updates zeigten, dass der NOX Ausstoß auf der Straße nachher unverändert bzw. kaum geringer war! Es ging allen Beteiligten beim „Abgas“skandal also nie darum, das Hauptproblem „Abgas“ zu lösen. Anders gesagt: mit amtlichem Segen wurde das Weiterrasen geduldet.
Hammer Nummer 2: Eine neuerliche Ausdehnung des Dieselskandals bahnt sich an. In den Dokumenten steht zweifelsfrei zu lesen, dass auch bei den neueren Dieselmodellen von VW die Abgasreinigung auf der Straße und am Prüfstand unterschiedlich gesteuert wird. So wie beim Betrugsmotor EA 189 gibt es auch beim Nachfolgemotor EA 288 wieder zwei verschiedene Betriebsmodi. Ob diese Art der Umschaltung illegal ist oder nicht, geht aus den bisher veröffentlichten Papieren (noch) nicht hervor. Höchst verdächtig ist, dass dazu 100 Seiten geschwärzt ausgeliefert wurden. Doch die Straßenmessungen bei einigen dieser Autos, die das Emissionskontrollinstitut (EKI) der DUH unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Friedrich durchgeführt hat, zeigen deutliche Überschreitungen der Stickoxid-Grenzwerte auf der Straße.
Ob es einer neuerlichen Allianz zwischen VW, KBA und deutscher Bundesregierung wieder gelingen könnte, klagende Kunden jahrelang an der Nase herumzuführen, werden unabhängige Verbraucherschutzorganisationen wie der Verbraucherschutzverein (VSV) zu verhindern wissen. Der VSV hat bereits die deutsche Zulassungsbehörde KBA in Österreich angezeigt und bereitet sich darauf vor, weiteren VW Geschädigten auch in Zukunft zu helfen, sich risiko- und kostenlos zu wehren.