Erstes Ziel eines jeden Jerusalem-Touristen ist wohl diese enge Gasse, die Via Dolorosa, die Straße der Schmerzen. Dass Jesus hier sein schweres Kreuz schleppen musste, ist – fast – nebensächlich. Nur mit Mühe findet man alle Stationen seines Kreuzweges, aber immerhin sind sie dokumentiert. Doch die Ablenkung ist groß: Viele Geschäfte, mit Andenken, Ramsch, Obst, Gemüse und allem, was man im Alltag so braucht.
Viele fromme Pilgergruppen aus allen Teilen der Welt schreiten singend die Stufen hinauf. Manche tragen – symbolisch – auch ein Kreuz mit sich. Im Menschengewühl: Auffallend viele Priester und Ordensschwestern, Seite an Seite mit orthodoxen Juden, Soldaten oder Marktschreiern und Verkäufern. Viele der Ordensbrüder und –schwestern wirken geradezu ausgelassen, fast glücklich, in dieser Strasse der Schmerzen.
Auffallend ist, wie bunt zusammengewürfelt die Pilger sind. Afrikaner. Asiaten. Oft sind es Menschen, denen man ansieht, dass sie Reisen gar nicht gewohnt sind. Sie sind hierher gekommen, weil sie ein klares Ziel vor Augen haben, vom dem ihr Glaube lebenslänglich zehren wird: Einmal im Heiligen Land gewesen zu sein und die religiösen Stätten besichtigt zu haben. Sie plagen sich, sie humpeln, sie stützen sich auf Krücken. Aber sie sind hier, um Jerusalem zu spüren, die Nähe zu ihrem Gott zu erleben.
Die Via Dolorosa ist hier, im arabischen Teil der Altstadt, keineswegs so deutlich ausgeschildert wie es ihrer historischen Bedeutung entspricht. Wer nicht genau schaut, kann sich leicht verirren. Aber freundliche Händler zeigen gern den Weg. Man muss nur aufpassen, ihren verlockenden Angeboten nicht zu oft aus lauter Dankbarkeit zu erliegen.
Die Grabeskirche mit Jesus letzter Ruhestätte ist von außen gesehen ein eher bescheidener Bau. Wüßte man nicht um ihre Bedeutung, könnte man glatt an ihr vorbeigehen. Das Herz klopft schon, wenn man sie betritt. Doch weihevolle Andacht kann an diesem Platz leider nicht aufkommen. Es ist laut, von überall strömen Menschen herbei. Es fällt gar nicht leicht, sich auf ein Gebet zu konzentrieren. Es geht zu wie auf einem Markt, Bethlehem ist im Vergleich dazu eine Alm.
Die berühmte Fassade des Grabes Jesu ist nicht zu überschauen. Genauso wenig der Anfang der Warteschlange davor. Doch Pilger sind geduldig. Manche beten mitten in diesem Wirbel. Ab und an dringen fromme Gesänge ans Ohr.
Endlich sind wir im Herz der Kirche. Höchstens zu zweit findet man hier Platz. Zu lange darf man sich nicht aufhalten. Sonst kommen priesterliche Wächter und scheuchen einen davon. Wir versuchen, diesen ganz besonderen Moment ganz tief in uns ein zu graben. Dem Papst wird man wohl mehr Zeit dafür gönnen.
Nahe der Grabeskirche erhebt sich die Klagemauer, eine der wichtigsten religiösen Stätten des Judentums. Beeindruckend ist die Gemeinschaftlichkeit der Gläubigen, die kleine Briefe mit ihren Anliegen und Wünschen in die kargen Schlitze der großen Klagemauer stecken. Sie beten intensiv, schwingen in einem eigenartigen Rhythmus, der selbst Unbeteiligten Kraft und Konzentration vollkommener Versenkung spüren lässt.
Ein paar Schritte weiter im Jüdischen Viertel. Hier pulsiert der Alltag. Kinder spielen Fußball auf dem steinharten Pflaster. Rabbiner hasten mit wehenden Kitteln durch die Gegend. Komisch, dass sie es immer so eilig haben. Alles wirkt breiter und reicher als in den anderen Vierteln der Altstadt. Neben Kindern und Jugendlichen in orthodoxen Gewändern mit Hut und Schläfenlocken flanieren Jugendliche im hypermodernen Outfits. Aus einem Lokal drängt flotte Musik auf die Straße. Aha. Da wird gerade eine Bar Mizwa gefeiert, ähnlich der katholischen Firmung der Eintritt eines Jugendlichen in die religiöse Mündigkeit.
In Jerusalems arabischen Teil spült uns der Sog der Passanten zum Damaskus Tor. Die Stimmen der Marktschreier überschlagen sich. Es überkommt einen die Lust, köstlichen Früchte und genuines Gemüse zu kaufen. Doch wozu kochen, wenn man im Hotel bekocht wird?
Nach der Altstadt geht’s zum Ölberg. Dann zum Jaffa Tor. Und einen Tag später auf einen Tee auf die Terrasse des legendären King David Hotels. Oder auf einen gepflegten Imbiss ins American Colony Hotel mit seiner außerordentlichen Geschichte.
Für all das braucht man gut und gerne ein paar Tage in Jerusalem. Denn schließlich braucht man in einem Schmelztiegel wie diesen auch etwas Zeit, um einfach nur zu schauen, zu staunen und um mit Daliah Lavi zu träumen:
„Von allen Türmen der Stadt
wehen endlos weit.
große Träume reicher Vergangenheit
vielleicht kommt bald eine schönere Zeit
für Jerusalem“
Nützliche Tipps:
Das Grab Christi ab Freitag Mittags besuchen, wenn die Warteschlange nicht sooo lang ist.
Im orthodoxen jüdische Viertel Mea She`Arim am Sabbat zu flanieren, ohne Kamera (strikt verboten!), um das traditionelle Leben der orthodoxen Juden authentisch zu erleben.
Ein Besuch in der äthiopischen Kirche, wo Musiktrommeln in der Sakrestei liegen und die Heiligen mit ungewöhnlichen Tieren aus dem Busch abgebildet sind
Zu den Jerusalem-Fotos von Helmut Kasper